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Binge Eating: dranghafte Essanfälle

Binge Eating ist eine Essstörung, bei der du die Kontrolle über das Essen mehr oder weniger häufig verlierst. Du erbrichst dich danach nicht, gut möglich aber, dass du das Zuviel Gegessene durch besonders kontrolliertes Essen wettmachen möchtest.

Binge Eating geht mit unkontrolliertem Essdrang einher

Binge Eating (Binge Eating Disorder, BED) ist eine Essstörung. Du hast dann unkontrollierte Essanfälle (Essattacken, Fressorgien oder wie auch immer du das nennst) – vielleicht täglich, vielleicht alle paar Wochen.  Du isst und kannst gar nicht genug kriegen, du fühlst dich nie satt und befriedigt, egal wie viel du gegessen hast – vielleicht hast du das Gefühl immer, oder auch nur während eines Essanfalls oder phasenweise. Mit dem Essen versuchst du, hohe Anspannung, Leeregefühle oder negative Stimmungen und Gefühle (Angst, Wut, Scham, Trauer) zu verdrängen oder regulieren. Das haltlose Essen erfüllt dich wahrscheinlich mit Scham- und Schuldgefühlen. Möglicherweise grübelst du auch viel nach über das Essen, das Gewicht und deine Figur.

Wodurch unterscheidet sich Binge Eating von Bulimie?

Bei der Bulimie wird das Gegessene anschliessend erbrochen, mit Abführmitteln ausgeschieden oder mit wilden sportlichen Aktivitäten oder striktem Fasten «weggemacht». Sport und Fasten/Diät als Kompensation kennen auch Menschen mit Binge Eating – bei der Bulimie ist das kompensatorische Verhalten einfach extremer als beim Binge Eating. Der Übergang zwischen Bulimie und Binge Eating ist fliessend – und du entscheidest letztendlich selbst, welchen Namen du deinem Essverhalten geben möchtest. Auch Menschen mit Magersucht können Essanfälle haben, sind aber untergewichtig. Menschen mit Binge-Eating können normalgewichtig oder übergewichtig sein.

Essanfälle wegen kontrolliertem Essen

Überleg dir mal, wie du isst, wenn du keinen Essanfall hast. Könnte es sein, dass du sehr bedacht darauf bist, ja nicht zuviele Kalorien zu essen? Dann gehörst du zu den Personen, die übermässig kontrolliert essen. Das heisst, nicht nach Lust und Laune, sondern nach irgend einer Regel, die du dir aufsetzt. Möglicherweise hast du dir ziemlich gut abtrainiert, darauf zu hören, was dein Körper wirklich will.

Es gibt interessante Untersuchungen über den Unterschied zwischen Menschen, die nach Lust und Laune essen, und denen, die kontrolliert essen: Wer nach Lust und Laune ist, dem verschlägts im Stress, oder wenns ihm schlecht geht, den Appetit. Er hat dann weniger Lust auf essen. Der Magen macht zu. Leute, die übermässig kontrolliert essen, stehen wegen dem Essen immer ein bisschen unter Stress, weil sie sich immer etwas zurückhalten müssen. Das heisst, das Essen ist bei ihnen selbst ein Stressfaktor. Wenn es ihnen schlecht geht oder wenn ihr Stresspegel aus anderen Gründen steigt, dann kann es dazu kommen, dass das Fass zum Überlaufen kommt. Die Sicherung brennt durch, und sie verlieren die Kontrolle über das Essen. Und können nicht mehr aufhören zu essen. Das heisst, Essanfälle kommen besonders dort vor, wo das Essverhalten übermässig kontrolliert ist. Wichtig ist also, dass du dich nicht nur mit den Essanfällen, sondern auch mit dem übermässig kontrollierten Essen auseinandersetzt.

Essanfälle sind gelerntes Verhalten

Das Gehirn lernt durch Wiederholungen. Wenn du bei Stress (oder Leere, Müdigkeit, Langeweile oder wenn es dir irgendwie schlecht geht…) ständig zum Kühlschrank gehst, dann lernt das Gehirn immer besser «wenn Stress, dann Kühlschrank». Irgendwann geht das ganze dann völlig automatisch. Frag dich mal, in welchen Situationen du Essanfälle hast. Und dann frag dich: Gibt es andere Dinge, die du tun kannst, um «runterzukommen», auszuspannen, loszulassen, dich fallen zu lassen, dich zu trösten? Wenn du müde und energielos bist? Es gibt fast nichts, das so einfach geht wie essen. Und die Belohnung kommt sofort – durch den Zuckergehalt und die Botenstoffe, die das Essen im Körper freisetzt. Es führt sofort zu einer Entspannung. Und zu Trost. Menschen, die keine Essanfälle haben, kennen andere Methoden, sich so fallen zu lassen, also Dinge, die absolut nicht anstrengend sind – die Badewanne, hinlegen und dösen, faulenzen und Musikhören, Kuscheln, Selbstbefriedigung, Stretching, Yoga usw. Und Schlafen (Menschen mit Essstörungen haben oft viel zu wenig Schlaf). Gut möglich, dass du solche Methoden des Herunterkommens ein bisschen verlernt hast und dir wieder allmählich antrainieren musst. Das heisst: Das Gehirn muss mühsam wieder lernen, neue «Wenn Stress dann…»-Verbindungen zu schaffen. Durch Wiederholungen und Üben.

Essanfälle sind Stress für den Körper

Binge Eating wird vom Körper als Stress erlebt, oft kann es wegen den sehr unterschiedlichen Mengen, die du zu dir nimmst, auch zu Mangelerscheinungen führen. Das kann auch mal dazu führen, dass bei einer Frau z.B. der Menstruationszyklus durcheinanderkommt. Die Mangelerscheinungen können logischerweise auch zu noch grösseren Ess-Suchtgefühlen führen: Wenn du dir z.B. nie Kohlehydrate erlaubst, ja was denkst du, was dein Körper dann findet. Hier schreit also nicht nur die Seele, sondern auch der Körper nach Nahrung. Es empfiehlt sich also, dass du ärztlich abklären lässt, ob du irgendwelche Mangelerscheinungen hast. Es empfiehlt sich ebenso, dass du mal abklärst, ob du irgendwelche Nahrungsmittelunverträglichkeiten hast, z.B. eine Laktoseintoleranz. Sinnvoll ist auch eine Ernährungsberatung bei einer Fachperson, die sich mit Essanfällen auskennt.

Überdurchschnittlich oft mit Orthorexie verbunden

Orthorexie nennt man auch «zwanghaftes Gesundessen». Mehr darüber liest du in diesem Text. Binge Eating und Orthorexie sind überdurchschnittlich häufig miteinander verbunden. Es ist typisch, dass Menschen mit Binge Eating «verbotene» und «erlaubte», «ungesunde» und «gesunde», «schlechte» und «gute» Nahrungsmittel unterscheiden. Als «Gut» werden z.B. Gemüse, Früchte, Joghurt und sonstige Eiweissprodukte erklärt. Als «Schlecht» erklärt wird typischerweise alles, was kohlehydrat- und fettreich ist. Wenn du nur «gute» Nahrungsmittel isst und die «schlechten» weglässt, kommt es zu der oben beschriebenen Mangelernährung. Der Körper giert nach den für ihn eigentlich sehr wichtigen Kohlehydraten und Fetten. Da ist es nicht erstaunlich, wenn du genau bei einem Essanfall gerade grosse Lust auf die von dir als «schlecht» erklärten Nahrungsmittel hast!

Wege aus dem Binge-Eating

Die Essanfälle sind eine Strategie, Stress und Spannung abzubauen, unangenehme Gefühle zu verdrängen und mit Problemen des Selbstwerts und des Körperbilds umzugehen. Daher reicht es in der Regel nicht, einfach nur daran zu arbeiten, sich besser zu ernähren. Sondern es ist genauso wichtig, zu üben, Spannung rechtzeitig zu erkennen und kanalisieren, Stress und unangenehme Gefühle besser auszuhalten und andere Strategien zur Stressbewältigung einzusetzen. Die Arbeit an einem besseren Körpergefühl (Tipps für Frauen) und einem besseren Selbstwert als Frau oder Mann ist zudem ausgesprochen sinnvoll. Es kann längere Zeit dauern, bis das Hunger- und Sättigungsgefühl sich normalisiert und ein normales Verhältnis zum Essen aufgebaut werden kann.

Es ist auch hilfreich, die Ursachen hinter den Problemen mit dir selbst anzugehen. Diese liegen in der Regel in der Kindheit. Hierzu empfehlen wir dir diesen Text.

Gönne dir fachliche Hilfe

Wenn du das Gefühl hast, dass du an Binge Eating leidest, ist es eine gute Idee, wenn du dir fachliche Hilfe suchst. Es gibt viele verschiedene Angebote für Menschen mit Binge Eating, die von Ernährungsberatung über Gesprächsgruppen und -therapien bis hin zu Körpertherapie reichen. Gönne dir fachliche Hilfe! Auf unserer Linkliste kannst du dich nach Angeboten in deiner Nähe umsehen.

Weitere Tipps zum Thema Binge Eating findest du in diesem Factsheet der Arbeitsgemeinschaft Essstörungen.