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Psychische Störungen nach Gewalterfahrungen

Egal ob Depression, Essstörung, Zwangsstörung, posttraumatische Belastungsstörung und so weiter: Wenn du so eine Diagnose gestellt bekommen hast, hilft es, wenn du sie nicht als Krankheit, sondern als Lösungsversuch ansiehst.

Bin ich gestört?

Vielleicht hast du irgendeine Diagnose bekommen: eine posttraumatische Belastungsstörung, eine Zwangsstörung, eine Depression, eine Essstörung oder eine andere psychische Störung. Das heisst nicht, dass du jetzt für immer „gestört“ oder gar krank bist. Sondern dein Wohlbefinden ist gestört. Deine Fähigkeiten und Möglichkeiten, dich im Leben zu verwirklichen, sind gestört.

Warum habe ich eine psychische Störung?

Bitte lies diesen Text über Probleme, die nach Gewalterfahrungen auftreten können. Wir schreiben darin, dass das Strategien sind, sich irgendwie in Griff zu bekommen. Wir schreiben auch, dass das Notprogramme sind, die im Notfall helfen, aber dich im Alltag behindern können. Einige dieser Strategien haben einen klinischen Namen bekommen – Essstörungen, Zwangsstörungen und so weiter. Wir empfehlen dir, dass du sie als Lösungsversuche ansiehst, mit dir und dem Leben klarzukommen. Das heisst: Hinter deiner Störung liegt eine Logik. Wenn du dich dafür interessierst, hast du den ersten Schritt zur „Heilung“ getan. Es ist sinnvoll, wenn du das mit psychotherapeutischer Unterstützung machst.

Wir haben hier einige Störungen aufgelistet, deren Wurzeln in traumatischen Erlebnissen liegen können:

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS, PTSD)

Angenommen, du hast ein Trauma erlebt – etwas, das du als ausserordentlich belastend und (lebens-)bedrohend erlebt hast. Dann kann es sein, dass danach über Wochen und Monate unter bestimmten Symptomen leidest, die im neudeutschen Fachjargon Intrusion, Avoidance und Hyperarrousal heissen:

  • Obwohl es eigentlich vorbei ist, erlebst du ein schlimmes Ereignis oder Teile davon immer wieder – in Form von Flashbacks oder Alpträumen. Mehr über Flashbacks liest du in diesem Text. („Intrusion“)
  • Du vermeidest Situationen, die an das Ereignis erinnern. Du vermeidest es auch, daran zu denken. („Avoidance“)
  • Du bist schreckhaft und hast erhöhte Alarmbereitschaft. Du hast ein Gefühl ständiger Bedrohung und empfindest starke körperliche und gefühlsmässige Erregung und/oder Gedankenkreisen („Hyperarrousal“)

Psychosomatische Beschwerden

Der Körper ist ein Spiegel unserer Seele. Seelischer Schmerz, wie er etwa durch körperliche, emotionale oder sexuelle Gewalt ausgelöst werden kann, verwandelt sich manchmal in körperliche Symptome. Dazu gehören Kopf- oder Bauchweh, Hauterkrankungen und Allergien. Dazu gehören auch Schlafstörungen: Es kann sehr beängstigend sein, während des Schlafens die Kontrolle aufzugeben. Oder du hast Angst vor schlechten Träumen und schläfst deshalb nicht ein.

Zwangshandlungen und -gedanken

Zwangsstörungen sind auch ein Versuch, schlimme Gefühle zu vermeiden und mehr Kontrolle zu gewinnen. Vielleicht hast du einen „Putzfimmel“, einen Waschzwang oder einen Ordnungstick. Vielleicht musst du auch zwanghaft ganz bestimmte Gedanken denken. Am Anfang versprachen dir diese Handlungen Sicherheit. Durch die ständige Wiederholung werden sie zum Zwang. Das kann dann zum Teil viele Stunden am Tag in Beschlag nehmen und dir und deinem Leben sehr in der Quere stehen.

Depression

Wenn du eine Depression hast, sinkt dein Selbstvertrauen, du fühlst dich antriebslos, du kannst dich schlecht für was entscheiden, du kannst dich schlecht konzentrieren und verlierst den Spass am Leben. Vielleicht vergeht dir der Appetit, vielleicht isst du zu viel. Vielleicht kommst du nicht aus dem Bett, vielleicht kannst du nur schlecht schlafen. Vielleicht fühlst du dich leer und teilnahmslos, vielleicht ängstlich und angespannt. Depression unterscheidet sich klar von Traurigkeit: Bei Traurigkeit, kannst du weinen und weisst warum. Die Depression unterscheidet sich von Traurigkeit dadurch, dass Menschen mit Depression sich kaum freuen und manchmal auch nicht weinen können. Du kannst die Depression als eine Art Bremsmanöver, als ein Aussteigen vom Machen, Erleben und Spüren ansehen. Das ist eine Art, mit Überforderung umzugehen.

Essstörungen

Vielleicht isst du zu wenig, um weniger zu spüren und weniger zu sein und ein Gefühl von Kontrolle zu kriegen. Oder du isst nur ganz bestimmte Dinge. Oder du isst zu viel, um dich zu trösten und vielleicht auch einen Schutzwall um dich aufzubauen. Vielleicht erbrichst du dich danach, um Unruhe und Spannung loszuwerden, oder um dich zu bestrafen. Anorexie, Bulimie, Binge Eating und Orthorexie: Probleme mit dem Essen haben ganz oft ihre Wurzeln in Gewalterfahrungen. Oft handelt es sich dabei um versteckte Gewalt in „heilen“ Familien. Darüber erfährst du mehr in diesem Text.

Komplexe posttraumatische Belastungsstörung (K-PTBS, C-PTSD)

Diese Diagnose kann gegeben werden, wenn du aufgrund langanhaltender traumatischer Erfahrungen (insbesondere in der Kindheit) viele Probleme mit dir, mit deinen Gefühlen, mit anderen Menschen und mit dem Leben hast. Wir gehen davon aus, das wesentlich mehr Menschen eine K-PTBS haben, als man meint. Diese Menschen bekommen dann vielleicht eine oder mehrere andere Störungen diagnostiziert – Essstörungen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, psychosomatische Beschwerden, Zwangsstörungen, Depressionen usw. Denn wenn du wegen irgend eines Symptoms in psychiatrische Behandlung gehst, fragt man dich möglicherweise nicht nach deinen Erfahrungen in der Kindheit – und sieht nicht, dass traumatische Erfahrungen die eigentliche Ursache der Probleme sind.