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Frage Nr. 35341 von 30.06.2022

Hallo Lilli,
ich habe gerade euer Video geschaut und es hat meine größte Angst bestätigt: Dass ich nie wieder eine Beziehung finden kann, seit ich eine chronische Schmerzerkrankung habe.
https://www.youtube.com/watch?v=O50DYDqziYI
(Das Polyvagal Video von der Startseite).

Wer soll denn mit mir seine Zeit verbringen wollen, wenn mein ANS immer agitiert ist? Der potenzielle Partner, von dessen ruhigem ANS ich natürlich profitieren würde, würde sich mit meinem agitierten ANS synchronisieren und sich dann schlecht fühlen wenn er mit mir zusammen ist. Natürlich wird er dann eine gesunde Partnerin vorziehen, mit deren gesundem ANS er sich synchronisieren kann.

Weil- aufgrund der Schmerzepisoden wird mein ANS egal wie viele Regulationstechniken ich erlerne in der Tendenz immer in Angst sein.
Ich hab mich bislang dran festgehalten, dass ich einen Partner durch andere positive Eigenschaft beeindrucken und bei mir halten könnte. Wenn er sich aber mit meinem ANS synchronisiert und sich dann in meiner Gegenwart immer Kacke fühlt auf gut Deutsch nutzt mir das dann wohl auch nix mehr. Ich fühle mich gerade echt hilflos.

Heißt das, ich sollte die Partnersuche lieber gleich lassen, obwohl ich mir so sehr Nähe wünsche? Oder wünsche ich mir Nähe vielleicht nur, damit ich mich mit einem ruhigen ANS synchronisieren kann und es mir dann besser geht?
Danke für eine Erklärung....

Unsere Antwort

Also, das ist nicht unser Video. Aber ich finde es gut. Du liest daraus allerdings eine falsche Botschaft. Im letzten Viertel des Videos werden dir Tipps gegeben, wie du dein autonomes Nervensystem (ANS) besser regulieren kannst. Und es wird von Ko-Regulation gesprochen: Eine Person kann dir ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, immer und immer wieder, so dass sich dein ANS beruhigen kann.

Wenn du dir einen Partner suchst, der schnell aus der Ruhe kommt, wird er sich natürlich von deinem Stress eher anstecken lassen. Für dich kommt jemand in Frage, der gelassen ist und sich gut beruhigen kann, und der mitfühlend mit dir ist. Die Frage ist also nicht, ob du einen Partner bekommst, sondern wen du dir wählst.

Dein Denken nennt man Katastrophisieren: Du gehst vom Schlimmsten aus ("nie wieder eine Beziehung"). Du filterst beim Sichten des Videos das, was du siehst und hörst, und verzerrst es so, dass du daraus das Schlimmste ziehen kannst. Das ist ein furchtbarer Zustand und löst Hilflosigkeitsgefühle aus.

Kennst du dieses Katastrophendenken auch sonst? Wenn ja, dann hast du das nicht von ungefähr. Ich weiss nichts über deine Geschichte, aber ich könnte mir vorstellen, dass du nicht in einem absolut sicheren, geborgenen Umfeld aufgewachsen bist. Sonst hättest du dir nicht dieses Denken angewöhnt. Dadurch, dass du dir das Schlimmste vorstellst, hoffst du vermutlich, davon nicht überrascht zu werden. Es ist ein Versuch, über die Zukunft irgendwie Kontrolle zu haben und nicht vom Schlimmsten überrascht zu werden. Nur ist das ein Trugschluss: Denn du bist viel besser vorbereitet auf das, was dir im Leben alles so begegnen kann, wenn du ihm möglichst entspannt und gelassen gegenübertrittst.

Das lernst du nicht so einfach. Ich würde dir dafür fachliche Unterstützung wünschen. Machst du da schon etwas? Wie gehst du die chronischen Schmerzen an? Vielleicht möchtest du uns darüber etwas mehr schreiben. Gib dann einfach diese Fragenummer an.

Es gibt übrigens ein sehr schönes Buch über chronische Schmerzen: "Kopfschmerzen im Becken" von David Wise und Rodney Anderson. Es geht darin um Beckenbeschwerden. Aber wie der Titel schon sagt, spricht es Themen an, die auch für chronisches Kopfweh oder andere Schmerzen sprechen. Insbesondere geht es um den Kreislauf "Angst und Sorgen – Anspannung – chronische Reizung – Schmerzen –  mehr Anspannung". Und es geht um Techniken, wie man da wieder heraus kommt.

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