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Frage Nr. 35355 von 01.07.2022

Liebes Lilli-Team

Ich habe vielleicht eine etwas seltsame Frage. Gibt es emotionale Päckchen die man das ganze Leben, mit sich herumtragen muss oder kann man alle emotionalen Probleme / schlechten Erlebnisse auflösen. Etwas konkreter: In der Sekundarschulzeit wurde ich mehrere Jahre gemobbt, bzw. ausgeschlossen (über 10 Jahre später) treffen mich die Gedanken daran manchmal sehr, manchmal auch unvorbereitet. Wenn ich darüber spreche (ist jetzt auch nicht dauernd ein Thema, aber kann es mal geben), gibt es mir immer noch einen Stich ins Herz und ich schäme mich auch irgendwie immer noch ein bisschen für diese Situation.

Vor ein paar Jahren hat mir eine Freundin für mich überraschend die Freundschaft gekündigt. Bis heute macht es mich ziemlich traurig, wenn ich daran zurückdenke und es löst eine Mischung aus Trauer, Ohnmacht und auch Wut aus. Wobei ich ehrlicherweise zugeben muss, dass es mir dabei wahrscheinlich weniger um die Freundschaft mit dieser Person geht, sondern mehr dieses Gefühl von Ablehnung (was vermutlich auch etwas von der Zeit während des Mobbings getriggert wird). Es hilft auch nicht unbedingt, dass gute Freundinnen immer noch mit dieser Person befreundet sind. Ich habe dann immer das Gefühl, sie sollten mich lieber mögen, als die andere Person, wobei ich rational weiss, dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat und ich dies selber etwas doof finde…

Insgesamt muss ich sagen, dass z.B. diese Erlebnisse mich bis heute prägen und mich manchmal auch in Alltagssituationen beeinflussen können (z.B. fühle ich mich etwas rascher ausgeschlossen oder messe Freundschaften einen sehr hohen Wert zu), obwohl ich heute ein sehr intaktes soziales Umfeld habe. Insgesamt erlebe ich es aber nicht als sehr einschränkend (ich kann also auch durchaus mal für meine Bedürfnisse einstehen, bin aber wohl rascher getriggert). Andere Erlebnisse, die mich ebenfalls traurig gemacht haben, in der Vergangenheit (z.B. der Tod meiner Grossmutter), habe ich für mich komplett abgeschlossen. Ich kann diese Erlebnisse sehr viel neutraler betrachten und denke dann eher an die guten Erlebnisse zurück.

Darum frage ich mich: Ist es möglich diese Erlebnisse so zu verarbeiten, dass sie für mich zwar meiner Biografie dazu gehören, aber mich nicht mehr traurig machen, wenn ich daran zurückdenke? Wenn ja, habt ihr Tipps? Oder ist es normal, dass gewisse Sachen immer bleiben, auch wenn man an einem völlig anderen Punkt im Leben steht. Ich bin heute zufrieden, habe gute Freundinnen, einen Partner und ein gutes Verhältnis zu meiner Familie, ich wurde seit Jahren nicht mehr gemobbt. Aber manchmal frage ich mich, wie es wäre, ohne das Gefühl eines Päckchens zu leben. Eure Gedanken dazu würden mich interessieren.

Unsere Antwort

Du stellst eine wichtige Frage. Was du beschreibst, ist normal. Viele Menschen, die in ihrer Jugend gemobbt wurden, tragen das lange Zeit mit sich herum, denn das ist eine sehr belastende Erfahrung. Und ja, das ist etwas anderes als zum Beispiel der Tod deiner Großmutter, denn beim Mobbing wirst du als Person angegriffen. Dein Selbstwertgefühl wird untergraben, und das wiederholt über mehrere Jahre hinweg. Es ist vollkommen verständlich, dass dich das bis heute prägt. 

Tatsächlich ist es beeindruckend, dass du heute trotzdem so glücklich bist und so gute Beziehungen hast. Du zeigst da viel Resilienz und du kannst wirklich stolz darauf sein, wie gut du bereits mit diesen Erfahrungen umgehst. Dennoch möchte ich dich ermutigen, dir Unterstützung durch eine psychologische Beratung oder Therapie zu suchen, wenn du das weiter aufarbeiten möchtest. Denn unter anderem dafür ist sowas da: um alte Verletzungen zu heilen und diese „Päckchen“ abzulegen. Das heißt nicht, dass die Erinnerungen daran dann weg sind, sondern das Ziel ist – wie du es selbst so schön beschreibst – dieser Erlebnisse besser in deine Biografie zu integrieren und sie neutraler und mit mehr Distanz betrachten zu können. Das ist möglich, und ich würde es mir für dich wünschen.

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