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Frage Nr. 35492 von 22.08.2022

Liebes Lilly-Team,
ich (weiblich, 36 Jahre) habe eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung und auch immer wiederkehrende Depressionen. Seit meinem 13. Lebensjahr verletze ich mich selbst. Folgende Therapien habe ich bereits absolviert: 4 x 12 Wochen DBT (stationär), 1 x 12 Wochen Traumatherapie (stationär), diverse ambulante Therapien (z. B. Schematherapie) und dazu kamen viele stationäre Aufenthalte in verschiedenen psychiatrischen Kliniken aufgrund von akuten Krisen und Zwangseinweisungen. Es gab auch wiederholte tagesklinische Aufenthalte und stationsäquivalente Behandlungen. Trotz all meiner Bemühungen habe ich es bis heute nicht geschafft, mit dem selbstverletzenden Verhalten aufzuhören. Es wurde über die Jahre immer schlimmer und schlimmer und gipfelte darin, dass ich 2011 versuchte mir beide Beine zu amputieren. Seitdem bin ich unbefristet berentet und schwerbehindert.
Nun ist es leider so, dass ich mir auch immer wieder schlimme Verletzungen im Intimbereich zufüge, die nur im Krankenhaus versorgt werden können und nicht selten sogar eine Operation nach sich ziehen. Das Ganze ist mir jedes Mal natürlich sehr unangenehm und ich schäme mich dafür. In der Vergangenheit bin ich in diesem Zusammenhang ganz lieben und einfühlsamen Gynäkologinnen begegnet, aber das war leider nicht immer so. Erst kürzlich musste ich wegen einer Selbstverletzung in die gynäkologische Notaufnahme und begegnete an diesem Tag einer Ärztin, die mich zwar behandelt, aber während der gesamten Behandlung kein einziges Wort mit mir gesprochen hat. Eine andere Gynäkologin fragte mich auch mal, ob ich denn kein anderes Hobby hätte und wiederum eine andere sagte zu mir: "Lassen Sie sich hier nie wieder blicken!". Das fand ich sehr verletzend, denn auf dem Einweisungsschein stand ja meine Diagnose, der sich unschwer entnehmen lässt, dass ein Trauma hinter all dem steckt. Wie ist Ihre Meinung zu den Aussagen dieser Ärztinnen? Ich habe gelesen, dass es in Ihrem Team auch eine Gynäkologin gibt und ihre Einschätzung der Thematik würde mich sehr interessieren.
Wissen Sie, ich erwarte gar kein Verständnis für meine Handlungen, aber habe ich es nicht trotzdem verdient, würdevoll behandelt zu werden? Ich hoffe, dass Sie mir einen Rat bezüglich dessen geben können, wie ich mich am besten verhalten sollte, falls ich nochmals in die Situation gerate in die Notaufnahme zu müssen. Außerdem wüsste ich gerne, ob Gynäkologinnen und Gynäkologen im Rahmen ihrer Facharztausbildung mit den Themen sexueller Missbrauch und Selbstverletzung in Berührung kommen und wenn ja, wie intensiv?
Über eine Rückmeldung bzw. den ein oder anderen Tipp wäre ich sehr erfreut.

Vielen Dank und herzliche Grüße!

Unsere Antwort

Wir sind mit dir der Meinung, dass alle Patient*innen würdevoll behandelt werden müssen. Dabei ist es egal, was der Grund der Behandlung ist. Auch haben alle Medizinstudent*innen über das Thema sexuelle Gewalt mindestens Grundkenntnisse erworben. Eine Grundkenntnis ist, dass selbstverletzendes Verhalten ein Symptom der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS) ist und die Folgen behandlungswürdig sind. Insofern sollten alles Gynäkolog*innen damit umgehen können. Du hast aber selbst erlebt, dass für manche Ärzt*innen Selbstverletzungen schwer erträglich sind. Sie verhalten sich, als wolltest du sie mit deinem Verhalten persönlich ärgern und haben noch nicht verstanden, dass dies zur kPTBS gehört. Gegen diese Unkenntnis hilft nur Aufklärung. In vielen ärztlichen Weiterbildungen wird das auch gemacht. Du als Patientin könntest deine Ärztin freundlich darauf hinweisen, dass du mit deinem Verhalten nicht sie verärgern wolltest. Wenn du mutig bist, sagst du noch, dass auch du dich selbst durch dieses verletzende Verhalten beschämt fühlst. Es wäre darum angemessen, wenn die Ärztin die Scham nicht noch verstärkt.

Du schreibst uns, dass du schon viele Behandlungen absolviert hast. Kannst du sagen, was du in der jeweiligen Behandlung gelernt hast und was du verändern konntest? Weisst du, welche Behandlung dich besonders angesprochen hat? Hast du gelernt, dein Verhalten zu „lesen“ und zu verstehen? Wir raten dir, dich mit diesen Fragen zu beschäftigen, wenn du das selbstverletzende Verhalten hinter dir lassen möchtest.

Wir raten dir auch, weiterhin psychotherapeutisch zu arbeiten, weil wir die Erfahrung machen, dass schwer traumatisierte Menschen Selbststärkung und Selbstakzeptanz brauchen. Wenn du deine Kraft in Selbststärkung stecken kannst, verlieren die Gewalttäter von früher an Macht.

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