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Frage Nr. 37124 von 25.06.2023

Hallo lilli

Ich bin männlich und 35 Jahre alt. Eure Seite macht einen guten Eindruck. Vielleicht werde ich hier endlich mal verstanden. Ich weiß nicht wie ich das sagen soll aber im Moment nervt es mich einfach total ein Mann zu sein. Oberflächlich gesehen hab ich jetzt kein schlechtes Leben aber in mir drinnen bin ich immer noch verwirrt und enttäuscht von meiner Geschlechtszugehörigkeit. Ich habe früher einige Sachen durchgemacht (entwicklungsverzögerung (wahrscheinlich wegen Sauerstoffmangel bei der Geburt),dyskalkulie, Mobbing, Probleme in der Schule, Schulabbruch, hohe elterliche Ansprüche, ständige überforderung,depressiver Bruder und co.)
Ich habe am Ende doch noch relativ spät (27j)mittlere reife nachgeholt(war schwierig) und einen Beruf gelernt aber die psychischen Wunden sind immer noch da. Vor allem aber hab ich oft darunter gelitten männlich zu sein. Die blöden Anforderungen, Konventionen, Probleme und Stereotype machten mir es schwer das toll zu finden. Keine Emotionen haben dürfen, nie schwäche zeigen, kein weinen (ganz schlimm), und unsere tolle Gesellschaft nimmt deine Probleme eh nicht wirklich ernst. Überall (in der Schule,Sozialpolitik, und gesellschaft) heißt es Frauen,Frauen,Frauen.
Als Frau kannst du stolz sein wird dir vermittelt, aber als mann gehörst du irgendwie zu den bösen. Ich habe aber noch nie etwas gemeines zu Frauen gesagt oder auch getan aber man bekommt so ein schlechtes Gefühl vermittelt. Es ist so unterschwellig. Ich wurde auch schon mal von einer vorgesetzten beim Zivildienst ungerecht behandelt weil sie keine männer mochte aber hat mich da wer ernst genommen. Und überhaupt ist der ach so sinnvolle Zivildienst ja auch Sexismus pur. Interessiert aber auch keinen. Wo ist da die Gleichberechtigung. Ne,...Da geht es ja um männer.Den müsste man auch endlich mal abschaffen. Oder dating. Da sind wir wieder schön in der Steinzeit. Immer muss der mann den ersten Schritt machen und so lustige sachen.... ich könnte noch viel mehr aufzählen vom subtilen männerbashing und der völlig akzeptierten Ohrfeige(ist auch Gewalt) in vielen Filmen ganz zu schweigen. Ist doch lustig wenn es Männern passiert naja vielleicht haben wir ja deshalb die robustere Haut.
.rosinen picken wo es nur geht...als kleiner junge freute ich mich darüber männlich zu sein. Aber jetzt 25 Jahre später neee.
Es klingt einfach etwas heftig im Moment aber ich fühle mich einfach minderwertig und nicht liebenswürdig als mann. Ich hab einfach keine große Lust und Energie mehr diese sinnlose Rolle weiter zu spielen. Vielleicht sind wir ja sowieso bald überflüssig. Ich musste mir das einmal von der Seele schreiben. Jetzt ist es raus. Es stimmt schon. Frauen haben viele Probleme. Das ist mir durchaus bewusst. Aber die werden thematisiert.Da gibt es Solidarität. Da wird man gehört. Da tut sich was.Da gibt es sowas wie Ernsthaftigkeit. Die Rolle hat sich sinnvoll geändert. Aber bei männer tut sich irgendwie kaum was . Da lacht man halt drüber.Die sind jetzt irgendwie unwichtig. Sollen sie halt auf der Strecke bleiben. Sollen sie ruhig den Mist ausbaden den ihre bösen Vorfahren (alte weiße Männer)produziert haben.
Ich möchte nichtmehr so weitermachen. Liebe lilli was kann ich tun um meine Sicht doch noch zu ändern und um mich mit der Tatsache ein mann sein zu müssen doch noch anfreunden zu können. Vielleicht mache ich eine Therapie. Ich möchte einfach ernst genommen werden. Ich hab nichts gegen Frauen. Aber die Tatsache,dass ich mich für etwas schuldig fühlen soll wofür ich nichts kann ist frustrierend ,ungerecht und auf Dauer nichtmehr hinnehmbar. Ich wünsche mir so sehr eine andere bessere,positivere Sicht der Dinge aber im Moment tue ich mich noch relativ schwer. Es tut mir leid. Ich möchte einfach mal glücklich sein und mich darüber freuen können auf meine Art doch noch gerne männlich zu sein. Auf eine positive Weise.

Unsere Antwort

Es ist sehr verständlich, dass es dich frustriert, das Gefühl zu haben, dass Männer in unserer Gesellschaft verteufelt werden und es kaum Fortschritte für sie gibt. Und auch, dass du darunter leidest, gewissen Erwartungen entsprechen zu müssen, Emotionen oder Schwächen verstecken zu müssen, oder nicht weinen zu dürfen. Da ist es logisch, dass du dich momentan nicht wohl damit fühlst, ein Mann zu sein.

Aber auch wenn du dich vermutlich gerade ziemlich alleine damit fühlst, das bist du nicht. Es gibt sehr viele Menschen, die das alles so sehen wie du. Es gibt viele, die sagen, dass Gleichberechtigung allen hilft und sich nicht nur auf Frauen konzentrieren sollte. Es gibt viele, die sich auch für Männer Veränderungen wünschen und sich dafür einsetzen. Und es gibt viele Männer, die sich auf den Weg machen, ihre ganz persönliche Art und Weise zu finden, ein Mann zu sein.

Vielleicht hilft es dir, dich auf die Suche nach Gleichgesinnten zu machen. Schau mal nach Gruppen von Menschen, die über die Anliegen von Männern sprechen und sich für ihre Rechte einsetzen. Nur solltest du etwas vorsichtig sein, weil es unter diesen Gruppen leider auch einige schwarze Schafe gibt. Sie nennen sich zwar «Männerrechtler», sind aber eigentlich nicht wirklich daran interessiert, sich für die Rechte von Männern einzusetzen. Stattdessen geht es ihnen eher darum, unter dem Vorwand einer Männerrechtsbewegung, gegen den Feminismus zu hetzen. Wie du solche Gruppen erkennen kannst, haben wir in diesem Text beschrieben.

Stattdessen könntest du schauen, ob du beim Bundesforum Männer in Deutschland oder beim DMÖ in Österreich Anschluss oder Gleichgesinnte findest. Auch auf Social Media Plattformen, wie Instagram, kannst du Menschen finden, die die gleichen Ansichten haben wie du.

Zusätzlich kannst du auch selbst etwas dafür tun, dich in deiner Haut als Mann wohler zu fühlen. Das, was um dich herum passiert, kannst du nicht immer so leicht ändern. Aber du kannst dich entscheiden, ob du frustriert darüber nachdenken willst, was alles schlecht ist und dir nicht guttut. Oder ob du dich lieber darauf konzentrierst, was du tun kannst, damit es dir trotz aller Umstände ein bisschen besser geht. Du hast in deinem Leben ja schon sehr viele Herausforderungen gemeistert und widrige Umstände überwunden. Was hat dir dabei geholfen?

Überleg mal: Du hast geschrieben, dass du auf deine eigene Art männlich sein möchtest. Was ist denn deine ganz eigene Art, männlich zu sein? Wie würdest du dich als Mann am wohlsten fühlen? Wie wärst du gerne männlich? Was wäre für dich eine positive Art, um männlich zu sein?

Auch wenn Mann-Sein in unserer Gesellschaft oft mit bestimmten Stereotypen verbunden ist, und bestimmte Dinge von Männern erwartet werden, muss das nicht heissen, dass du genau so sein musst. Es gibt so viele verschiedene Arten Mann zu sein, wie es Männer gibt. Und du darfst da ganz kreativ werden und schauen, wie du dich persönlich am wohlsten fühlst. Vielleicht hilft dir dabei auch das Buch «Klappt's?» von Michael Sztenc. Deine Idee, eine Psychotherapie zu machen, halte ich für sehr sinnvoll. Denn so, wie du deine Kindheit und Jugend beschreibst, ist es nur logisch, dass da noch psychische Wunden sind. Und ich kann mir gut vorstellen, dass sich dein Selbstwertgefühl dadurch bisher nicht recht entfalten konnte. Du verdienst es, für die Verarbeitung professionelle Unterstützung zu bekommen. Vielleicht schaust du auch mal in unser Kapitel Gewalt und Stress im Elternhaus.

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