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Frage Nr. 37284 von 25.08.2023

Hallo lilli und Team

Ich bin ein 34 jähriger Mann und hab momentan eine ziemliche Krise. In mir ist viel Wut und Enttäuschung über mich selbst und zum Teil auch gegenüber meiner Umwelt und dem Leben im generellen. Mein Hauptproblem ist, dass ich einfach nichts selber kann. In mir drin ist einfach eine große Leere und wirklich anzufangen weiß ich mit mir auch nichts. Ich bin zwar 34 aber genaugenommen bin ich noch ein Kind. Ich kann fast nichts kochen und andere alltagskpompetenzen sind echt mangelhaft entwickelt.

Ich kenne die Erfahrung nicht wie es ist wirklich Privatsphäre und Grenzen in meiner Familie zu haben. Ich musste mir zb mein Zimmer bis zu meinem 20 Geburtstag mit meinem Vater teilen. Meine Schwester hingegen hatte mit 12 schon ihr eigenes Zimmer. Ich hatte nie Privaten Raum für mich. Meine Eltern erkannten dadurch meine Grenzen nie wirklich an. Ich musste mich was das Zimmer betrifft auch immer nach meinen Vater richten und konnte nicht wirklich Entscheiden. Generell hab ich den Eindruck,dass sie mir eher wenig zutrauen.

Auch jetzt habe ich eine Wohnung die in der selben Siedlung ist wo meine Eltern wohnen. Sie haben mich auch nie motiviert selbstständiger zu werden, manchmal glaub ich eher dass sie es verhindern wollen. Ich habe mit 29 mit ach und krach den Führerschein gemacht. Leider bin ich noch relativ ängstlich gewesen. Als ich meinen Vater fragte ob er mir sein Auto leihen kann oder ob er mit mir mitfahren will um mir ev Tipps zu geben aber er war dagegen. Ich war 30 und musste wie ein 17 jähriger Teenager betteln um mir dem Wagen zu leihen. Einen Grund warum er so dagegen war, konnte er oder wollte er mir nicht nennen. Jetzt bin ich schon 3 Jahre nicht gefahren und traue mir das nichtmehr zu.

Generell glaub ich dass ich mich die die letzten 16 jahre kaum weiterentwickelt habe und nie erwachsen werde. Ich kenne mich nicht, weil immer andere bestimmten, ich kann schwer zu meiner Meinung stehen, mich nicht behaupten. Ich musste mir auch dieses Jahr im Familienurlaub,war ein Geschenk meiner Eltern,dass Zimmer mit ihnen teilen. Es fühlte sich nicht gut an. Ich bin auch noch nie alleine verreist.

Jetzt realisiere ich erst wie lebensuntauglich un unselbstständig ich bin. Es tut sehr weh zu merken, dass ich steckengeblieben bin. Mit Frauen sehe ich einfach sowieso schwarz. Ich bin eine Schande. Kann ich überhaupt etwas ändern.

Unsere Antwort

Du schreibst sehr abfällig über dich. Das ist wegen deinem niedrigen Selbstwertgefühl verständlich. Aber es ist nicht hilfreich. Jetzt ist es nötig, dass du mehr Mitgefühl für dich entwickelst und dich sozusagen an der Hand nimmst, um aus deinem Loch rauszufinden. Du, der 34-jährige Mann.

Da hast du schon einige erste Schritte gemacht. Ich finde es wichtig, dass du beginnst, deine Eltern klarer zu sehen. So wie du deine Eltern beschreibst, haben sie dein Eigenes nicht anerkannt und deine Entwicklung nicht gefördert. Ihr Verhalten hat im Gegenteil deine Abhängigkeit von ihnen gefördert. Es ist verständlich, dass du dich wie ein Kind siehst.

Ich sehe das so, dass sie dich instrumentalisiert haben und immer noch instrumentalisieren. Das heisst, die Rolle, die du bei ihnen hast, dient ihnen zu irgend etwas. Daran sind sie mehr interessiert als an deinem Wohlergehen. Zu dieser Rolle gehört auch, dass du lebensuntauglich und unselbständig bist.

Ich bitte dich, diesen Text über subtile Formen von Gewalt im Elternhaus zu lesen. Schau, wo du dich angesprochen fühlst.

Deine Krise zeigt dir, dass du jetzt etwas tun musst. Das Hauptziel ist, dass du dich von deinen Eltern emanzipierst. Bist du bereit, die Loyalität ihnen gegenüber aufzugeben und auch Wut auf sie zu entwickeln für das, was sie dir angetan haben? Wut macht Mut – Mut zu Schritten in die Selbständigkeit. Wenn es dir schwerfällt, deinen Eltern gegenüber wirklich kritisch zu sein, interessiert dich vielleicht dieser Text.

Was für Schritte wären sinnvoll? Zum Beispiel suchst du dir jemanden, der mit dir Autofahren übt, so dass du es dir dann wirklich zutraust. Ich finde Autofahren hat etwas Symbolisches – es steht für selbständig seinen Weg gehen und voll im Leben der Erwachsenen mitmachen. Überleg mal, wie du das angehen kannst. Ich finde, das dürfte auch etwas kosten. Wie steht es um deine Finanzen?

Ausserdem würde ich mich von Urlaubseinladungen nicht beirren lassen. Du merkst ja selbst, dass das, was dann im Urlaub passiert, sich nicht gut angefühlt hat. Du schreibst, du musstest das Zimmer teilen. Nein, das musstest du nicht. Du bist 34. Ich rate dir von Familienurlauben ab – bis zu dem Zeitpunkt, wo du dich deinen Eltern gegenüber als gleichwertiger Mann behaupten kannst.

Im weiteren empfehle ich dir diesen Text und diesen Text rund um dein niederes Selbstwertgefühl und die Überwindung deiner Kindheit. Ich möchte dich dazu einladen, uns wieder zu schreiben mit deinen Gedanken nach dieser Antwort und nach der Lektüre. Falls du uns wieder schreibst, gib bitte die Nummer dieser Frage an.

Übrigens: Hast du dir überlegt, psychotherapeutische Unterstützung zu suchen? Ich fände das sinnvoll.

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