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Gewalt: Schuld und Verantwortung

Du bist nie Schuld an körperlicher oder sexueller Gewalt – oder an irgend einer Gewalt –, die du erfahren hast. Es gibt Situationen, in denen du dich nicht wehren kannst. Du kannst etwas dazu beitragen, dass die Täter*innen in die Verantwortung genommen werden.

Wer ist Schuld an der Gewalt?

Du bist nie Schuld an Gewalt, die du erfahren hast – egal ob es Schläge waren oder ein sexueller Übergriff. Auch wenn du dich nicht gewehrt hast. Auch wenn du am Anfang zum Sex oder zu einem gemeinsamen Date oder zu einer Beziehung «Ja» gesagt hast. Wer dich sexuell belästigt oder zu sexuellen Handlungen zwingt, wer dich schlägt oder dir sonstige Gewalt antut, ist immer im Unrecht. Denn diese Person überschreitet eine Grenze und verletzt deine Rechte.

Warum darf mir niemand Gewalt zufügen?

Ganz einfach: Weil es dein Recht ist, dass du ein Leben ohne Gewalt lebst. Es ist dein Recht, dass deine persönlichen Grenzen nicht verletzt werden. Es ist dein Recht, dass dich niemand körperlich verletzt oder dir anderen Schaden zufügt. Es ist dein Recht, «Nein» zu einer sexuellen Handlung zu sagen. Es ist dein Recht, dass dich Menschen nicht sexuell belästigen oder mit Worten heruntermachen. Lies dazu bitte unsere Texte über deine sexuellen Rechte. Und lies bitte auch hier nach, was es alles für sexuelle Straftaten gibt.

Was, wenn die Person ein «lieber» Mensch ist?

Du liebst die Person, die dir Gewalt zuführt? Dann ist es besonders schwer, ihr die Schuld zu geben. Du hast das Recht, auf diese Person wütend zu sein – auch wenn du sie eigentlich magst, wenn sie zu deiner Familie gehört oder dein*e Partner*in ist. Du nimmst diesen Menschen vielleicht in Schutz und sagst dir, dass du es mit deinem Verhalten nicht besser verdient hast oder, dass er Probleme hat und drum nicht anders kann. So kannst du das Bild einer «guten» und «liebenswerten» Person aufrechterhalten. Es scheint dir vielleicht einfacher, dir selbst die Schuld zu geben und dich selbst fertig zu machen. Denn es ist unglaublich schmerzvoll, klar zu sehen, dass die Person eben nicht so liebenswert ist. Dann müsstest du ja deine Liebe für sie in Frage stellen.

Wenn das für dich sehr schwer oder gar unmöglich ist, hol dir unbedingt fachliche Hilfe. Denn du leidest darunter, wenn du dich ständig schlecht machst: Du fühlst dich mehr und mehr wertlos und lässt dir Dinge gefallen, die dir nicht guttun.

Was, wenn ich auf die Person angewiesen bin?

Vielleicht erleidest du Gewalt durch deine Eltern oder eine andere wichtige Person, auf die du angewiesen bist. Vielleicht wohnst du mit der Person zusammen oder du kannst ohne sie dein Leben nicht bestreiten. Die vermeintlich «gute» Beziehung mit dieser Person ist somit für dich ganz wichtig, denn du kannst nicht ohne diese Person. Dann nimmst du sie in Schutz, stellst ihr Verhalten als gerechtfertigt hin und gibst dir selbst die Schuld, damit die Beziehung nicht gefährdet wird. Da ist es unglaublich wichtig, dass du dir bei einer Beratungsstelle vertraulich Rat und Unterstützung holst. Mit Hilfe einer Beratungsstelle wirst du stärker und unabhängiger und kannst dich besser von dieser Person loslösen.

Warum machen mir andere Vorwürfe?

Manchmal machen auch Freunde oder Familienmitglieder Vorwürfe, die schmerzvoll und überhaupt nicht hilfreich sind: «Hättest du doch mehr aufgepasst!», «Wenn du dich so benimmst, muss so was ja passieren!». Auch sie versuchen, so damit klarzukommen, dass sie sich selbst ohnmächtig fühlen. Oder dass sie nicht für dich da waren, als du die Gewalt erlebt hast. Umso wichtiger ist es, dass du dich an eine Beratungsstelle wendest: Dort wird man dir sicher keine Vorwürfe machen und du brauchst dein Verhalten nicht rechtfertigen.

Wieso mache ich mir selbst Vorwürfe?

Es gibt Situationen, in denen wir uns einfach nicht wehren können. Weil die andere Person zu stark ist, oder weil wir einfach fassungslos oder vor Angst wie erstarrt sind. Du hast dich machtlos gefühlt. Es kann ganz schön schwer zu ertragen sein, wenn du dich machtlos fühlst. Darum machst du dir nach dem Übergriff vielleicht selbst Vorwürfe und gibst dir die Schuld – so als läge es in deiner Macht, was passiert ist. So unangenehm das ist, es ist manchmal leichter zu ertragen, als wenn du dich so ohnmächtig fühlst. Es kann einige Zeit dauern, bis du dir eingestehen kannst, dass ausschliesslich der andere Schuld war an der Gewalt. Es ist nie zu spät, dir Unterstützung zu suchen.

Was, wenn ich etwas provoziert habe?

Egal mit wem du mitgegangen bist, egal wie unvorsichtig du warst, egal wie sexy du gekleidet warst, egal wie viel Alkohol du getrunken hast, egal wie wenig du auf die guten Ratschläge anderer gehört hast, egal ob du die Person mit Worten provoziert hast, egal ob du dich ihr gegenüber respektlos verhalten hast – das gibt niemandem das Recht, dich körperlich zu verletzen oder einen sexuellen Übergriff an dir zu machen oder dich sexuell zu belästigen. Du bist nicht schuld daran. Die Person selbst ist verantwortlich für ihr Verhalten. Sie hat sich entschieden, Gewalt anzuwenden. Sie hätte auch anders auf deine Provokation reagieren können. Du bist nur für dein eigenes Verhalten verantwortlich, nicht für ihres. Niemand darf dir Gewalt antun, egal was du getan hast!

Es gibt den Englischen Begriff Slut Shaming. Auf deutsch kann man das mit Schlampendreschen übersetzen. Hier wirst du für dein tatsächliches oder angebliches sexuelles Verhalten abgewertet. Und weil du dich vielleicht sexy anziehst, heisst es dann, dass du leicht zu haben bist und es "nicht anders wolltest". So probiert man dann sexuelle Übergriffe an dir zu rechtfertigen. Bitte lies dazu auch diesen Text für Frauen und diesen Text für Männer.

Was, wenn der*die Täter*in mich beschuldigt?

Du machst dir vielleicht schon selbst Vorwürfe. Und dann sagt dir der*die Täter*in auch noch: «Du hast es so gewollt!». Er*sie versucht dich so nieder zu machen, dass du dich schmutzig und schuldig fühlst. Vielleicht versucht er*sie auch, das Geschehene schönzureden: «Stell dich nicht so an. So schlimm war es nicht.». Damit versucht er*sie, sich selbst vor Beschuldigungen und Anklagen zu schützen und das eigene schlechte Gewissen zu überdecken.

Es gibt einen Begriff dafür, wenn Opfern von Gewalttaten eingeredet wird, dass sie schuld an der Tat wären: Victim Blaming. Das ist Englisch für Opferbeschuldigung. Victim Blaming ist besonders gefährlich, weil du dich deshalb vielleicht nicht traust, mit anderen zu reden darüber, dir Hilfe zu holen und je nachdem auch eine Strafanzeige zu machen. Dadurch können Täter*innen ungestört weiter sexuelle Übergriffe machen. Viele Straftaten werden so ignoriert.

Es ist schlimm, dir Schuld zu geben, wenn du einen Übergriff erlebt hast. Es ist dein Recht, «Nein» zu einer sexuellen Handlung zu sagen. Es ist auch dein Recht, dass du von Menschen nicht sexuell belästigt wirst. Halt dich an diesem Satz: "Ich bin im Recht. Er*sie hat eine Straftat begangen."

Was mache ich mit sexistischen Meinungen?

Wenn du durchs Internet surfst, liest du vielleicht herablassende Meinungen über Menschen, die Gewalt erlebt haben. Vielleicht hörst du das auch in deiner Clique oder im Gespräch mit Freunden. Solche Meinungen können dich verunsichern und dir das Gefühl geben, dass mit dir was nicht stimmt. Diese Meinungen sind sexistisch. Im Grunde sagen sie, dass die sexuellen Rechte für irgend jemanden weniger gelten. Wegen solchen Meinungen trauen sich zum Beispiel viele Jungen und Männer nicht, über ihre Gewalterfahrungen zu reden. Dadurch nimmt man sie nicht ernst, und die Täter*innen können ungehindert weitermachen.

Warum sollte ich mich beraten lassen – und wo?

Ein Mädchen liegt auf dem Bett und sucht auf ihrem Laptop nach Beratungsstellen

Nach schlimmen Erlebnissen sollte niemand allein dastehen. Bei spezialisierten Beratungsstellen können dir Leute helfen, mit deinen Gefühlen besser klarzukommen, dich wieder wertvoll zu fühlen und dich für deine Rechte stark zu machen. Sie wissen: Du trägst keine Schuld! Eine Person, die dir Gewalt antut, trägt immer die Verantwortung dafür. Wenn du dich an eine Beratungsstelle wendest, trägst du auch dazu bei, dass unsere Gesellschaft umdenkt, weil Gewalt mehr an die Oberfläche kommt. Hier erfährst du mehr über die Beratungsstellen.

Warum darf mir niemand Gewalt zufügen?

Ganz einfach: Weil es dein Recht ist, dass du ein Leben ohne Gewalt lebst. Es ist dein Recht, dass deine persönlichen Grenzen nicht verletzt werden. Es ist dein Recht, dass dich niemand körperlich verletzt oder dir anderen Schaden zufügt. Es ist dein Recht, «Nein» zu einer sexuellen Handlung zu sagen. Es ist dein Recht, dass dich Menschen nicht sexuell belästigen oder mit Worten heruntermachen. Lies dazu bitte unsere Texte über deine sexuellen Rechte.