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Gefühle, Beziehungen und das autonome Nervensystem

Das Autonome Nervensystem ist stark daran beteiligt, wie du dich selbst und die Welt siehst, welche Gefühle du hast und wie du in Beziehungen mit anderen unterwegs bist. Es macht Sinn, das zu verstehen, denn du kannst es lernen, zu beeinflussen.

Warum sehe ich die andere Person nicht immer gleich?

Angenommen, du bist in einer Beziehung. Manchmal habt ihrs gut miteinander. Manchmal gar nicht. Manchmal liebst du deinen Partner*deine Partnerin, manchmal würdest du ihn*sie gern auf den Mond schiessen. Manchmal hast du das Gefühl, er*sie ist gegen dich. Es gibt dann vielleicht auch Situationen, in denen gar nichts mehr möglich ist. Irgendwas passiert, irgendwer wird «getriggert», und dann ist nur noch Krach. Warum ist das so? Es kann auch sein, dass dein*e Partnerin das gleiche sagt – aber einmal erlebst du es, als ob er*sie gegen dich ist, und das andere Mal nicht. Warum?

Um das besser zu verstehen, hilft es, wenn du dein Nervensystem besser verstehst. Genau genommen, dein autonomes Nervensystem. Das ist das gleiche wie das vegetative Nervensystem. Wir verwenden hier den Begriff autonomes Nervensystem oder kurz ANS.

Was ist das ANS?

Wenn du von Nerven redest, meinst du vielleicht die, die dafür zuständig sind, dass du spüren oder dich bewegen kannst. Das sind die Nerven des zentralen Nervensystems. Die meinen wir hier nicht. Das autonome Nervensystem ist ständig aktiv ohne dass du es merkst. Es sorgt dafür, dass all deine inneren Organe funktionieren, ohne dass du bewusst was dafür tun musst. Drum heisst es «autonom» - das heisst nämlich soviel wie «selbständig». Das ANS ist auch dafür zuständig, dass unser Körper und unser Geist auf Aktivität eingestellt sind oder auf Ruhe: Es sorgt dafür, dass du aktiv sein kann, und es sorgt dafür, dass dein Körper sich erholen kann. Ausserdem hilft es, dich in Sicherheit zu bringen.

Das ANS beginnt im Stammhirn und hat zwei Teile: das sympathische Nervensystem und das parasympathische Nervensystem. Je nach Situation und Bedarf sind diese Nerven ganz unterschiedlich stark tätig.

Sympathicus (SNS): Aktivierung

Das sympathische Nervensystem («der Sympathicus» oder SNS) ist ein Nervengeflecht, das durchs Rückenmark läuft. Es hat ganz viele Äste, die vom Rückenmark wie bei einem Tannenbaum abzweigen in den Körper.

Wenn du aktiv sein möchtest – dich bewegen, aufstehen, laufen, rennen, etwas tragen und so weiter –, dann muss das sympathische Nervensystem aktiv sein. Das SNS ist sozusagen dein Aktivierer. Es macht, dass deine Muskeln besser durchblutet sind, dass du schneller atmest, dass dein Blutdruck hochgeht und dass dein Puls hochgeht. Dein Sympathikus ist für Bewegung und Kraft wichtig.

Parasympathicus/Vagus: Entspannung

Das parasympathische Nervensystem besteht vor allem aus einem Nerv: dem Vagus-Nerv. Der Vagus ist sozusagen ein «Vagabund», er wandert schlängelnd durch den Körper und hat auch ganz viele Zweige und Äste. Der Vagus-Nerv sorgt für das Gegenteil wie der Sympathicus: Er macht, dass Puls und der Blutdruck runtergehen, die Muskeln entspannen, der Atem ruhiger ist. Jetzt läuft auch die Verdauung. Und du schläfst mit seiner Hilfe ein.

Der Vagusnerv hat gemäss der sogenannten Polyvagaltheorie zwei Hauptstränge: den dorsalen Vagus und den ventralen Vagus. Der dorsale Vagus beginnt im Stammhirn etwas weiter hinten (Rücken heisst auf lateinisch dorsum), der ventrale Vagus etwas weiter vorne (Bauch heisst auf lateinisch venter).

Der dorsale Vagus ist uralt, den haben alle Wirbeltiere. Er ist ganz lang und läuft bis runter in unser Geschlecht. Ein wichtiges Merkmal des dorsalen Vagus ist, dass er macht, dass wir runterfahren und regenerieren. Den ventralen Vagus haben nur Säugetiere. Er ist ganz kurz und vor allem mit den Gesichtsnerven und dem Herz verbunden. Wennn er aktiv ist, sind wir locker, offen und in sozialer Stimmung. Das macht Sinn, dass Säugetiere diesen Strang des Vagusnerv haben. Denn sie müssen sozial miteinander umgehen können. Reptilien müssen das nicht.

Was hat das ANS mit Beziehung zu tun?

Was du gerade über den ventralen Vagus gelesen hast zeigt dir: Das ANS hat auch was mit Beziehung zu tun. Je nachdem, welche Nerven unseres ANS aktiv sind, erleben wir uns ganz unterschiedlich in Beziehung. Das hat eine uralte Geschichte: Denn eigentlich ist das ANS dazu da, uns in Sicherheit zu bewahren oder in Sicherheit zu bringen. Hier haben das sympathische Nervensystem, der dorsale Vagus und der ventrale Vagus unterschiedliche Funktionen:

SNS: Kampf-Flucht-Reaktion

Stell dir vor, du bist ein Steinzeitmensch. Du streifst durch die Steppe. Und plötzlich hörst du etwas knurren. Jetzt wird dein Sympathicus aktiv: Du zuckst zusammen, der Puls steigt, der Blutdruck steigt. Du blickst schnell um dich, um die Situation einzuschätzen. Wenn du ein kleines Tier siehst, was dir ins Bein beissen möchte, schlägst du wahrscheinlich mit deinem Faustkeil zu. Du erlebst dann Wut oder Aggression. Wenn es ein riesengrosser Säbelzahntiger ist, rennst du so schnell du kannst. Du erlebst dann Angst.

Man nennt das die «Kampf-Flucht»-Reaktion (Vielleicht kennst du auch das Englische «Fight or flight reaction»). Wenn du im Stress bist – egal ob das eine echte Gefahr oder stressige Gedanken, viel Arbeitsstress oder Ärger in der Beziehung ist –, wird dein Sympathikus sehr aktiv. Typisch hierfür ist zum Beispiel:

  • Du bist angespannt und atmest rasch und eher flach.
  • Du erlebst Angst oder Wut oder Ekel – lauter Gefühle, die zeigen, dass hier was nicht stimmt.
  • Du denkst schnell und in einfachen Bahnen und sehr wertend ("gut oder böse?" "sicher oder unsicher?" "kämpfen oder fliehen?"). Für genaue Analysen hast du jetzt keine Zeit.
  • Du grübelst ganz schnell, du hast rasende Gedanken. Dein Grübeln bringt dich nicht auf einen grünen Zweig. Dein Gehirn ist nämlich nicht so gut durchblutet: Das Blut ist jetzt vor allem in deinen Armen und Beinen, damit du kämpfen oder fliegen kannst.
  • Du siehst überall Feinde, du bist darauf eingestellt, dass die Leute Böses antun wollen. Das Gefühl hast du auch gegenüber Menschen, die dir sonst sehr nahe sind.
  • Du bewertest Menschen. Sind sie schlechter als du? Sind sie besser als du?
  • Wenn du über dich selbst denkst oder in den Spiegel kuckst, wertest du dich möglicherweise ab. Du wirst sozusagen dein eigener Feind.
  • Du hörst jetzt besonders gut hohe, schrille Töne oder ganz tiefe, dumpfe. Menschliche Stimme verstehst du nicht so gut. In einem Streit kriegst du nicht so gut mit, was die andere Person sagt.
  • Du bist im Konflikt nicht an Problemlösung interessiert sondern daran, Recht zu haben und den anderen "zu besiegen".

Jede*r von uns kennt das. Unser Alltagsstressoren sind einfach so häufig, und Beziehungskrach kennen wir auch alle. Nicht wenige von uns sind sogar dauerhaft eher angespannt und haben ständig eine Haltung, die geprägt ist von hoher Aktivierung des Sympathicus. Gerade wenn wir als Kinder nicht sicher waren, haben wir uns möglicherweise eine Dauerspannung als Schutzhaltung angewöhnt.

Dorsaler Vagus: totstellen und wegtreten

Angenommen nochmal, du bist ein Steinzeitmensch. Du hast es tatsächlich, dummerweise, mit einem Säbelzahntiger zu tun. Du rennst also, so schnell du kannst. Vielleicht hast du Glück und entwischst. Sehr gut möglich aber, dass der Tiger schneller ist als du. Irgendwann greift er dich. In dem Augenblick passiert bei dir möglicherweise was Eigenartiges: Du fühlst dich plötzlich ganz schlapp – genau genommen, du fühlst eigentlich gar nicht mehr viel. Es kann sogar sein, dass du in Ohnmacht kippst. Dein Körper erschlafft in diesem Augenblick tatsächlich.

Warum? Dein dorsaler Vagus ist blitzschnell sehr aktiv geworden, der Sympathicus ist jetzt kaum noch aktiv. Dein ganzes System fährt sozusagen runter. Du bist völlig schlaff. Der Säbelzahntiger wundert sich kurz und lässt dich dann angewidert fallen: So ein lebloses Ding ist keine gute Mahlzeit. Er will was fittes, das sich wehrt. Gelangweilt schlendert er von dannen. Du bleibst eine Weile liegen und kommst dann ganz allmählich wieder zu dir. Dein Sympathicus wird wieder aktiv. Du kannst wieder was tun. "Flucht!" denkst du. Du schleichst dich so schnell wie möglich davon.

Wenn der Sympathicus dich Steinzeitmenschen nicht vor dem Säbelzahntiger retten konnte, so konnte es der dorsale Vagus. Vielleicht hast du schon mal vom Totstellreflex gehört. Alles fährt runter. Du kannst nichts mehr machen, du spürst nicht mehr viel, du erlebst in dem Augenblick vielleicht ganz wenig. Das ist ein uralter Mechanismus, der uns in Lebensgefahr hilft.

So fühlt sich das an, wenn dein dorsaler Vagus im Stress aktiv wird:

  • Du bist schlaff und atmest sehr schwach.
  • Du fühlst dich leer und bist nicht so ganz da.
  • Du nimmst kaum Schmerzen wahr.
  • Deine Gedanken sind langsam und nicht zielführend. Du kannst nicht entscheiden und nichts machen.
  • Du fühlst dich hilflos und ohnmächtig
  • Du fällst vielleicht sogar in Ohnmacht

Dieser Zustand hilft, Situationen besser zu überleben, wo wir uns nicht mehr wehren können. Gerade wenn uns Gewalt angetan wird, ist das relativ häufig. Viele fragen sich zum Beispiel nach einem sexuellen Übergriff: "Warum habe ich mich nicht gewehrt?" Ganz einfach: Sie konnten nicht, weil der dorsale Vagus sozusagen den Totstellreflex aktiviert hat.

Es kann auch vorkommen, dass der dorsale Vagus über längere Zeit ziemlich aktiv ist. Zum Beispiel wenn wir in einer ausweglosen Lage sind oder das Leben uns überfordert. Wir erleben uns dann hilflos und ohnmächtig. Vielleicht sind wir in einer richtigen Depression. Nichts mehr geht so richtig.

SNS und dorsaler Vagus: angespannte Lähmung

Möglich ist auch, dass SNS und dorsaler Vagus gleichzeitig aktiv sind. Das ist sehr unangenehm: Du bist im Zustand der höchsten Anspannung, erlebst intensive negative Emotionen – und gleichzeitig bist du erstarrt und wie gelähmt. Auch das kann bei grosser Gefahr oder dem Erleben von Gewalt passieren. Es kann auch in von aussen gesehen nicht so gefährlichen Situationen passieren – zum Beispiel wenn du vor einer Gruppe von Leuten stehst und ein Referat halten musst – und nichts geht mehr.

Möglich ist auch, dass der Sympathicus und der dorsale Vagus abwechselnd aktiv werden: Du bist total angespannt und im Stress, und dazwischen schlaff und wie ausgebrannt und leer und depressiv. Auch das ist ein Zustand, der nicht so selten ist, wenn du in der Kindheit sehr schwierige/schlimme Dinge erlebt hast.

Ventraler Vagus: offen und sozial

Angenommen, du bist ein Steinzeitmensch. Du bist mit dem Speer auf der Pirsch. Du erblickst eine Gazelle. Dann siehst du deinen Nachbar. Er will die gleiche Gazelle erlegen wie du. Ihr habt beide Hunger. Wenn jetzt gleich der Kampf-Flucht-Modus einsetzen würde, würdet ihr miteinander kämpfen und die Gazelle würde locker von dannen traben. Ihr würdet beide hungrig bleiben.

Als Menschen haben wir zum Glück eine andere Strategie, mit diesem Problem umzugehen: Wir können sozial und nett miteinander sein. Du ziehst die Augenbrauen hoch und flüsterst "Hungrig, Nachbar?" Er nickt, mit einer leidenden Miene: "Ich auch." Ihr blickt einander mitfühlend an: "Dann lass uns zusammenspannen und die Gazelle halbieren", flüssterst du. Und gemeinsam erlegt ihr die Gazelle. Ihr plant, fortan miteinander auf die Jagd zu gehen – so könnt ihr einander beschützen und erwischt mehrere Tiere.

Damit derart soziales Verhalten möglich wird, braucht es Aktivität des ventralen Vagus. Da passiert bei dir folgendes:

  • Du bist eher locker und entspannt, du atmest eher tief.
  • Deine Ohren sind auf menschliche Stimmen eingestellt.
  • Deine Stimme ist nicht gepresst oder schrill, sondern sie hat einen leichten Singsang. Prosodie nennt man das auch.
  • Du hast eine offene, interessierte Haltung gegenüber anderen Menschen oder dir selbst.
  • Du empfindest freundschaftliche oder liebende Gefühle gegenüber anderen Menschen oder dir selbst.
  • Du kannst jetzt kreativ und vernetzt denken. Dein Gehirn ist gut durchblutet.
  • Du bist in Konflikten offen für Lösungen und wirklich daran interessiert, Probleme zu lösen.

Wenn du das so durch liest, denkst du wahrscheinlich: "o. k. davon will ich mehr". Es stimmt tatsächlich, dass es uns in den meisten Alltagssituationen gut tun würde, wenn der ventrale Vagus aktiver wäre. Er ist so wichtig für das soziale Miteinander, dass er auch "sozialer Vagus" heisst.

SNS + ventraler Vagus: aktiv und sozial

Es gibt Situationen, wo der Sympathicus und der ventralen Vagus gleichzeitig aktiv sind. Zum Beispiel im Spiel: Eigentlich ist man im Spiel Gegner, aber trotzdem ist ein Miteinander. Man ist vielleicht im Wettkampf, und gleichzeitig hat man Spass miteinander. Man will einander besiegen, aber man lacht trotzdem miteinander. Auch im Sport, wenn er Spass macht, sind Sympathicus und ventraler Vagus gleichzeitig aktiv. Oder wenn man bei der Arbeit Spass hat. Oder vor einer Gruppe Leute einen mitreissenden Votrag hält.

Der Mix aus SNS und ventraler Vagus heisst also: aktiv und gleichzeitig gut drauf und sozial.

Dorsaler Vagus + ventraler Vagus: wohlig entspannt

Auch der Mix aus dorsalem und ventralen Vagus fühlt sich gut an: Stell dir vor, du kuschelst nach dem Sex mit deinem Liebsten*deiner Liebsten. Du bist so richtig wohlig faul und willst überhaupt nicht aufstehen. Ein sehr angenehmer Zustand. Oder du bist nach einem dicken Essen so richtig satt und liegst sehlig grinsend im Stuhl. Oder du liegst in der Sonne oder meditierst und findest, du seist mit dir und der Welt im Frieden. Oder du bist kurz vor dem Einschlafen und fühlst dich so richtig geborgen.

Der Mix aus dorsalem und ventralem Vagus heisst: Tiefenentspannung mit guten, intimen Gefühlen.

Wie kriege ich mein ANS in den Griff?

Es lohnt sich, wenn du ein bisschen Bescheid weist über dein ANS, denn es kann schnell aus dem Gleichgewicht kommen. Da ist es gut, wenn du weist, wie du es wieder ins Gleichgewicht bringst. Dazu hilft dir, dass wir unser autonomes Nervensystem über den Körper beeinflussen können: Wenn du die Muskeln anspannst und schnell atmest, liest dein ANS, dass du in Gefahr bist, und aktiviert das SNS, so dass du eher mit Angst, Wut, Wachsamkeit, und noch mehr Anspannung reagierst. Wenn du im Stuhl hängst und dich ganz schlaff machst, liest dein ANS möglicherweise, dass nichts mehr geht und der dorsale Vagus wird getriggert und du wirst ganz lustlos und passiv.

Um mit uns selbst und anderen besser klar zu kommen, brauchen wir zu allem dazu eine gute Dosis sozialen Vagus. Der wird zum Beispiel durch lockere Bewegung und Bauchatmung aktiviert. Wenn wir in einem Loch mit zuviel Aktivität des dorsalen Vagus sind, hilft uns auch Bewegung. Tipps dazu, wie du dein ANS selbst regulieren und den ventralen Vagus aktivieren kannst, findest du in diesem Text.

Wie beeinflussen wir einander?

Du und dein ANS reagiert sehr schnell auf das, was bei einer anderen Person und ihrem ANS abgeht:

  • Wenn eine Person dir gegenüber sitzt, die sehr angstvoll oder sehr wütend ist (hohe SNS-Aktivierung), dann wird dein SNS ganz automatisch aktiver. Du wirst selbst ängstlich oder wütend, oder du probierst die Person zu beschwichtigen. Eigentlich ist das eine Strategie, in deinem eigenen Nervensystem wieder Ruhe herzustellen.
  • Wenn eine Person dir gegenübersitzt und total schlapp und lustlos oder niedergeschlagen ist (starke Aktivierung des dorsalen Vagus), dann zieht dich das möglicherweise selbst runter. Oder du reagierst gereizt oder wütend oder zappelig – jetzt steuert dein SNS ganz automatisch dagegen, dass du in ein Loch kippst.
  • Wenn eine Person dir offen, zugewandt und mitfühlend gegenüber sitzt (starke Aktivierung des ventralen Vagus), dann kann es sein, dass du selbst aus einem Zustand der Anspannung (SNS-Aktivierung) oder Niedergeschlagenheit (dorsaler Vagus) herauskommst, weil dein ANS sich beruhigt (mehr Aktivierung des ventralen Vagus). Ihr ANS beruhigt dein ANS. Man nennt das auch Ko-Regulation. Das ist das Prinzip des Tröstens oder gegenseitigen Beruhigens.
  • Damit du eine Person wirklich trösten oder beruhigen kannst, oder damit du ihr wirklich helfen kannst, aus einem unangenehmen Zustand herauszukommen, brauchst du eine gute Dosis innerer Ruhe und Stärke, die mit einer Aktivierung des ventralen Vagus einhergeht. Die hilft dir, ruhig zu bleiben oder ruhig zu werden, obwohl beim Gegenüber die Hölle los ist. Dazu ist es wichtig, dass du weisst, wie du dein ANS selbst regulieren kannst. Diese Selbstregulation in Beziehungen ist etwas vom Schwierigsten: Wir können es immer wieder probieren und üben – und uns immer wieder freuen, wenn es uns gelingt.

Das ANS und Sex

Beim Sex brauchen wir eine gute Dosis Sympathicus, damit die sexuelle Erregung zu einem Orgasmus ansteigen kann. Viele von uns haben dementsprechend in hoher Spannung Sex und sorgen so dafür, dass der Sympathicus stark angeregt wird. Wir sind beim Sex sozusagen im Kampf-Flucht-Modus. Das hat grossen Einfluss darauf, wie wir uns und die andere Person beim Sex erleben. Mehr dazu erfährst du in diesem Text. Es kann auch sein, dass du dann nach dem Orgasmus in ein Loch kippst mit viel Aktivität des dorsalen Vagus und kaum Aktivität des ventralen Vagus. Du fühlst dich dann vielleicht leer oder sogar etwas depressiv.

Damit wir beim Sex die Erregung steigern und unser Erleben intensivieren und gleichzeitig angenehme Gefühle und Liebe füreinander erleben können, brauchen wir zusätzlich zur Sympathicus-Aktivierung eine gute Dosis ventraler Vagus. Hierbei hilft es, die sexuelle Erregung statt mit hoher Spannung mit viel Bewegung und einem Wechselspiel aus Anspannung und Entspannung zu steigern. Dazu findest du auf dieser Website viele Tipps. Der wichtigste ist dieser Text über Bewegung des Oberkörpers beim Sex.

Es kann sein, dass du bei Sex die "passive" Rolle einnimmst und auf dem Rücken liegst. Dein Partner*deine Partnerin ist eher mit viel sympathischer Aktivierung unterwegs. Möglicherweise können dann unangenehme Gefühle von Ohnmacht und Opfersein auftreten – obwohl dein*e Partner*in dir eigentlich überhaupt nicht an den Kragen möchte. Dein dorsaler Vagus ist dann sehr aktiv. Auch hier ist es hilfreich, wenn du beim Sex eine bewegte Rolle einnimmst, so dass du nicht in dieses "Loch" kippst.

Weiterführende Infos

Es gibt zahlreiche Übungen und Tricks, wie du den ventralen Vagus besser aktivieren kannst. Unter „Vagusnerv-Übungen“ findest du viele weitere Videos auf Youtube und auch Podcasts und Blogbeiträge. Du kannst lange ausatmen und kurz einatmen, summen, singen, dich selbst massieren, lachen, gurgeln, spielen, kalt duschen oder dein Gesicht in kaltes Wasser tauchen, dich bewegen, tanzen, in die Natur gehen, fernöstliche Praktiken wie Qi Gong, Tai Chi, Yoga und Meditationen machen, dich massieren oder massieren lassen, deine Augen bewusst bewegen. Wir empfehlen dir auch das Buch "Leben mit der Polyvagaltheorie: In Sicherheit verankert" von Deb Dana.