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Frage Nr. 32143 von 18.02.2021

Liebes Lilli-Team,

zuerst einmal vielen Dank für eure wertvolle Arbeit! Ich (27, weiblich) schaue jetzt schon seit ein paar Jahren immer wieder mal rein und finde wirklich toll, was ihr macht.

Selbst eine Frage gestellt habe ich aber noch nie... das obwohl sich schon seit langer Zeit viele Fragen zum Thema Liebe und Sexualität in meinem Herzen angestaut haben. Ich denke aber immer, ich sollte fähig sein, alleine damit klar zu werden. Nun habe ich meine Meinung geändert... ich möchte meine Gedanken und Fragen mit anderen teilen und mich dadurch befreien! Und wer weiss, vielleicht kann es sogar auch anderen Menschen helfen, denen es ähnlich geht. Mein Text ist etwas lang geworden, bitte entschuldigt mich dafür.

Euch zu schreiben hat mich folgendes motiviert: ich bin jetzt seit über zwei Jahren in einer gesunden Beziehung mit einem liebenswerten und respektvollen Mann. Eine seiner großen Stärken ist Ehrlichkeit und er hat ein großes Bedürfnis nach Transparenz und somit auch nach Kommunikation.

Als ich einmal mehrere Wochen im Ausland war (das war noch in unserem ersten Jahr), hat er mir gebeichtet, dass er einen Porno angeschaut hatte. Er war gerade in einer schwierigen Situation, sehr unter Druck und das sei einfach so passiert. Er wollte es mir unbedingt sagen, weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Zunächst hat mich das sehr wütend gemacht und verletzt. Als wir uns dann wiedergesehen haben, wollte er mit mir darüber reden. Er hat mir respektvoll erklärt, dass es nichts mit meinem Wert zu tun hat oder mit der Liebe, die er für mich empfindet. Das dürfte man nicht zu hoch halten. Männer seien halt visuell erregbar und das verhelfe ihnen zur Befriedigung. Ich schätze es sehr, dass er so offen mit mir darüber gesprochen hat und verstehe das alles sehr gut. Aber es fällt mir unheimlich schwer, mich dabei nicht verletzt zu fühlen.

Später wollte er wieder mal darüber reden. Wieder als ich länger weg war. Ich habe aber schnell abgeblockt und versucht ihm zu erklären, dass ich mich dabei nicht wohl fühle und lieber nicht darüber diskutieren möchte. So. Dieses verletzte Gefühl kommt aber auch oft im Alltag vor. Zum Beispiel wenn wir zusammen einen Film schauen. Das klingt vielleicht unnormal, aber ich fühle mich sehr sehr schlecht, wenn Szenen kommen, in denen attraktive Frauen nackt (und als Lustobjekte) zu sehen sind. Wahnsinnig schlecht. (Ich finde es übrigens auch fies, dass aller Serien und so auf die männliche Sexualität ausgerichtet sind. Nie kommen Szenen vor, die aus der Perspektive der weiblichen Sexualität gemacht, bzw. für uns Frauen "antörnend" sind). Es fühlt sich für mich dann so an, als ob mich gerade jemand hintergeht und vor allem fremdgeht.

Diese Reaktion ist bestimmt total übertrieben. Verständlich ist sie aber. Denn was Sexualität betrifft, habe ich eine ziemlich schwierige Vergangenheit. Schon zuhause habe ich mitbekommen, dass Männer neben ihrer Frau auch auf andere Frauen stehen und sich sexuell zu ihnen angezogen fühlen. Zudem habe ich als junges Mädchen mehrmals erlebt, dass mich viel ältere Männer mit ekligen Augen angeguckt haben und sogar versucht haben, an mich ranzukommen. Was die Liebe betrifft, hatte ich auch fast von Anfang an schlechte Erfahrungen mit Männern. Bis ich meinen jetzigen Freund kennengelernt habe, war ich nur mit Männern "zusammen", die mich betrogen haben. Sie "mochten" mich zwar. Sie sagten, ich sei ein "toller Mensch", wollten aber IMMER nur das Eine von mir und ließen mich dann im Stich. Und während wir zusammen waren, machten sie regelmäßig sexuelle Kommentare über andere Frauen. Einmal hat einer auf einer Abschlussfeier mit mir Schluss gemacht und gleich danach vor meinen Augen eine andere auf den Schoß genommen und mit ihr geflirtet.

Ich habe mir dann immer wieder gesagt, dass ich ab jetzt NUR noch einen guten Menschen zum Freund haben möchte. Und jedes Mal war es die totale Enttäuschung. Ich habe dann gemerkt, dass ich dringend an meiner Selbstakzeptanz- und liebe arbeiten muss. Das habe ich getan. Intensiv und über längere Zeit. Eines Tages habe ich mir gesagt: so. Jetzt fühlt es sich gut an. Ich liebe mich jetzt genug, um auch von jemand anderem geliebt zu werden. Und bald darauf habe ich meinen jetzigen Freund kennengelernt, der nichts, aber auch gar nichts mit den früheren Männern in meinem Leben zu tu hat. Dafür bin ich dankbar. Aber wie gesagt habe ich immer noch dieses Problem. Und schäme mich dafür. Ich sehe, dass ich gelassener werden sollte. Und vor allem selbstbewusster! Aber ich übe das schon seit so langer Zeit... ich habe all eure Artikel dazu gelesen und noch mehr. Aber irgendwie habe ich es noch nicht ganz geschafft.

Und eben dieses Problem mit anderen Frauen. Ich bin zum Beispiel auch eifersüchtig auf seine Praktikantinnen. Und habe Angst, dass er sich in sie verliebt. Oder sie attraktiv findet. Das schmerzt mich, ich fühle mich dann ganz klein, unfähig und nicht liebenswert. Ich weiss, dass es ungesund für uns beide ist. Schließlich wirkt sich das auch auf meine sexuelle Lust aus, denn diese Gefühle sind sehr abtörnend. Habt ihr Tipps für mich, wie ich das ändern kann? Wie kann ich gelassenerer werden? Wie kann ich mir mit ihm Filme anschauen und mich dabei gut fühlen? Wie kriege ich diese verdammten Minderwertigkeitskomplexe ein für alle mal weg?

Ich freue mich über jeden Tipp von euch.

Vielen vielen Dank im Voraus und viele Grüße!

Unsere Antwort

Vielen Dank für dein Lob. Das freut uns sehr! smiley

Danke auch für deine ausführliche Beschreibung. So können wir dir viel besser helfen. Und es ist beeindruckend, was du schon alles geschafft hast. Es ist eine grosse Aufgabe, sich von alten Mustern zu lösen und da bist du schon weit gekommen. Es ist auch eine gute Idee, dass du dir Unterstützung suchst. Du musst das nicht ganz allein schaffen.

Ich sehe in deinen Beschreibungen, dass du deine Gedanken und Gefühle sehr stark ablehnst, wenn es um Pornos oder andere Frauen geht. Ich würde dir raten, sie neutral zu beobachten und zu akzeptieren.

Ja, es beschäftigt dich, wenn er Pornos schaut und wenn er Kontakt mit Praktikantinnen hat. Ja, du hast Angst, dass er sich verliebt. Ja, du fühlst dich dann "ganz klein, unfähig und nicht liebenswert". Und trotzdem hast du die volle Entscheidungsmacht, wie du dann damit umgehst. Du kannst viel besser Einfluss nehmen, wenn du zuerst akzeptierst, wie es ist.

Da kann eine Angst aus der Vergangenheit sein, aber du entscheidest dich diesem Mann hier und heute zu vertrauen. Oder du entscheidest dich, mit ihm Dinge zu vereinbaren, die es euch leichter machen. Du schenkst deinen Gedanken und Gefühlen Aufmerksamkeit, aber du lässt sie nicht über dein Leben bestimmen. Wenn du merkst, dass du da allein nicht weiterkommst, kannst du dir Unterstützung suchen.

Du beschreibst sehr klar, welchen Einfluss deine Vergangenheit hat. Die kannst du nicht entfernen. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Geschichte. Du brauchst dich nicht anders fühlen, als du es tust. Darauf hast du keinen Einfluss. Aber du kannst deinen Umgang verändern. Dein Verhalten liegt in deiner Hand.

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