Hallo ich bin männlich und 19 jahre alt. Ich brauche euern Rat. Eigentlich bin ich hetero. Ich hatte auch schon mehrmal Sex mit Frauen, was ich sehr schön fand. Doch letzte Woche habe ich meinen WG Mitbewohner im Bad beim Masturbieren erwischt. Er hatte nicht abgeschlossen. Es war mir erst sehr unangenehm. Doch ich konnte auch nicht schnell wieder rausgehen, weil es mich sehr erregt hat. Er hat auch einen sehr großen Penis über 20 cm. Er fragte mich dann, ob ich ihm helfen kann. Ich wusste schon, dass er homosexuell ist. Jedenfalls haben wir uns dann gegenseitig zum Samenerguss gebracht. Es hat mich extrem erregt. Jetzt hat er mich schon ein paar mal gefragt, ob wir wieder Sex haben können, auch anal. Doch ich weiß gar nicht mehr so richtig, ob ich jetzt hetero, homo oder bisexuell bin...
Unsere Antwort
Sexuelle Erregung, Orientierung und Identität sind keine starren Kategorien. Sondern verändern sich. Dass dich die Situation mit deinem Mitbewohner erregt hat, bedeutet nicht automatisch, dass du homo- oder bisexuell bist.
Sexuelle Erregung kann durch verschiedenes ausgelöst werden – durch Bilder, Körpermerkmale, Situationen oder Dynamiken, die dein Nervensystem stimulieren. Was dich sexuell erregt, ist erlernt und kann sich im Lauf des Lebens erweitern oder verändern. Das heißt: Du kannst dich heterosexuell fühlen und trotzdem durch eine gleichgeschlechtliche Situation erregt werden. Diese neue oder ungewohnte sexuelle Handlung verwirrt dich, ist aber Teil des Lernprozesses, deine eigene Sexualität zu verstehen und zu entwickeln.
Gib dir nicht sofort ein Label (hetero/bi/homo), sondern:
- nimm wahr, was dich genau erregt hat – sein Körper, seine Nähe, das Verbotene, die Situation?
- beobachte, wie du dich dabei gefühlt hast – neugierig, beschämt, lebendig, verunsichert?
- reflektiere, ob du erneut solche Begegnungen suchst oder eher Distanz brauchst.
Jede sexuelle Erfahrung ist eine Gelegenheit, mehr über deine eigene Erregungslogik zu lernen. Dabei geht es weniger um Etiketten, sondern um Bewusstheit und Selbstakzeptanz. Spür mal in dich hinein: Was an dieser Begegnung war körperlich und emotional besonders intensiv? Was davon möchtest du wieder erleben – und was eher nicht? Wie fühlst du dich mit deiner sexuellen Identität, wenn du dir erlaubst, diese Erfahrung einfach stehen zu lassen, ohne sie sofort zu bewerten?
Du brauchst dich nicht festlegen, sondern darfst dich als jemand verstehen, der gerade dabei ist, seine Sexualität differenziert zu erkunden. Wichtiger als die Einordnung in sexuelle Orientierungen ist, dass du weißt, was sich für dich stimmig und echt anfühlt. Neugier, Irritation und Erregung während oder nach deinen Erfahrungen gehören zu diesem Lernprozess.
Wenn du weitere sexuelle Erfahrungen mit deinem Mitbewohner machen möchtest, dann sprecht darüber, was das für euch beide bedeutet. Damit meine ich nicht, dass ihr euch sofort festlegen müsst – sondern, dass ihr ehrlich besprecht, welche Bedeutung so eine Begegnung für euch jeweils hat.
Geht es euch um Neugier, Lust, körperliche Nähe – oder um etwas Tieferes? Welche Gefühle sind dabei im Spiel – Zuneigung, Freundschaft, Verliebtheit, Verbundenheit? Wie beeinflusst das eure WG- oder Freundschaftsbeziehung? Was lösen weitere sexuelle Begegnungen mit ihm in deinem Selbstbild aus? Was ist für euch beide in Ordnung – und was (noch) nicht? Zum Beispiel: „Ich möchte keinen Analverkehr, aber gegenseitige Berührung ist okay.“, „Ich will nichts machen, was ich danach bereue.“ oder „Ich brauche Klarheit, dass wir befreundet bleiben können, egal was passiert."
So kannst du oder könnt ihr beide die Erfahrung als etwas Lernendes und Stimmiges erleben, nicht als Verwirrung oder Druck.
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