Hallo,
ich (m, 48) habe das Problem, dass ich für Frauen offenbar nur als Kumpel interessant bin, aber nicht als möglicher Beziehungspartner oder Sexualpartner. Ich muss vorausschicken dass ich noch Jungfrau bin und auch noch nie eine Beziehung hatte. Grund dafür war auch, dass ich aufgrund einer Gehbehinderung, die praktisch schon seit meiner Geburt besteht, immer wieder auch mit meinem Selbstwertgefühl kämpfte. Was Frauen betrifft, so gab es über die Jahre immer wieder Annäherungsversuche, die aber nie zu einer Beziehung führten oder auch nur einen One-Night-Stand.
Ich werde von Frauen schon wahrgenommen und sie interessieren sich für meine Person. Das führt dann manchmal immerhin zu Verabredungen, wo wir zusammen auf ein Konzert oder ins Kino gehen oder auf einen Kaffeeplausch. Aber dann geht es nicht mehr weiter. Ich schaffe es nicht, das Gespräch auf eine erotische Ebene zu verlagern bzw. meine Bedürfnisse nach Liebe und Sex zu artikulieren oder Ihnen Ausdruck zu verleihen. Den Satz „ich möchte dich küssen“ oder „ich möchte mit dir schlafen“ habe ich noch nie zu einer Frau gesagt. Meine Hoffnung war immer, dass es sich aus der Situation heraus ergeben würde. Irgendwann nach mehreren Dates verlieren die Frauen dann Interesse bzw. geben mir zu verstehen, dass sie nur an einer Freundschaft interessiert sind. Da ich aber schon zwei beste (platonische) Freundinnen habe, bin ich dann nicht weiter interessiert, die Treffen fortzusetzen, zumal ich mir dann immer Hoffnungen machen würde, ob es nicht doch zu mehr kommt.
Das Problem mit dem Selbstwertgefühl rund um meinen Körper bin ich schon länger angegangen und habe auch Eure Übungen für Sex zu zweit gemacht. Mittlerweile fühle ich mich dahingehend einigermaßen selbstsicher und denke auch, dass ich vaginalen Verkehr trotz meiner Körperbehinderung hinbekommen würde. Es liegt also mehr an der Scham, die ich empfinde, mich als Mann zu präsentieren, der diese sexuellen Bedürfnisse überhaupt hat. Wenn ich andere Männer beobachte, die eine Frau offensiv anbaggern, empfinde ich schnell Fremdscham und will die Frauen beschützen.
Ich bin auch unsicher, ob ich Frauen ehrlich gemeinte Komplimente über ihr Äußeres machen soll, um ihnen zu schmeicheln und sie für mich zu gewinnen.
Meine Frage ist daher, ob ich einfach offensiver kommunizieren soll, dass ich eine Beziehung suche und keine Freundschaft, wenn sich eine Frau für mich interessiert? Und auch, wie ich meine Schamgefühle angehen kann, mich als Mann zu präsentieren, der sexuelle Bedürfnisse hat?
Danke schon mal fürs Lesen und Kompliment für eure tolle Arbeit!
Unsere Antwort
Danke, dass du so offen schreibst. Ich antworte dir hier als jemand aus dem Lilli-Team, der selbst mit einer körperlichen Behinderung lebt und viele der Gefühle und Situationen, die du beschreibst, aus eigener Erfahrung kennt. Dieses Hin- und Her zwischen dem Wunsch nach Nähe und der Angst, nicht gesehen oder nicht begehrt zu werden – das kann sehr an die Substanz gehen. Du bist damit nicht allein, und es ist stark, dass du darüber sprichst.
Was mir als Erstes auffällt: So wie du schreibst, hast du in den letzten Jahren enorm viel getan. Du hast an deinem Körperbild gearbeitet, du hast unsere Übungen ausprobiert, du hast dich mit deiner eigenen Unsicherheit auseinandergesetzt. Du lernst Frauen kennen, hast Dates und verbringst Zeit mit ihnen – das ist sehr schön und zeigt, dass du durchaus in Verbindung gehst.
Dass du dich schämst, dich als Mann mit sexuellen Bedürfnissen zu zeigen, ist absolut nachvollziehbar. Gerade Menschen, die mit einer Behinderung leben oder lange an ihrem Selbstwert gearbeitet haben, entwickeln oft eine besondere Sensibilität dafür, niemandem unangenehm aufzufallen. Viele werden sehr einfühlsam und vorsichtig. Und wenn man dann Männer sieht, die Frauen offensiv und plump ansprechen, entsteht schnell Fremdscham und der Wunsch, sich davon klar abzugrenzen.
Gleichzeitig führt dieses innere Abgrenzen manchmal dazu, dass man alle Formen von erotischem Ausdruck vermeidet – auch die, die respektvoll, sanft und authentisch wären. Und die übrigens unabhängig davon möglich sind, ob man eine körperliche Behinderung oder eine andere Einschränkung hat oder nicht.
Genau hier könntest du ansetzen. Nicht mit „mehr Offensive“ oder gezielten Komplimenten über den Körper einer Frau, sondern mit mehr Klarheit über dein eigenes Gefühl und dein eigenes Empfinden. Zum Beispiel mit Sätzen wie: „Ich merke, dass ich dich wirklich gerne mag.“ „Ich fühle mich zu dir hingezogen.“
Das ist kein Druck. Das ist Orientierung. Und Orientierung empfinden die meisten Menschen als Erleichterung.
Genauso gilt: Du darfst früh sagen, dass du eine Beziehung suchst und keine weitere rein platonische Freundschaft. Diese Klarheit verhindert, dass du nach mehreren Dates in genau dieser schmerzhaften Unschärfe landest, die du beschreibst.
Was deine Scham angeht, dich als Mensch mit sexuellen Bedürfnissen zu zeigen: Das ist ein Prozess, kein Schalter. Die Aussage "Ich muss mutiger sein“ baut eher Druck auf, besser ist sich selbst Schritt für Schritt die Erlaubnis zu geben, einen Wunsch zu haben, ohne sich dafür zu verurteilen. Es kann schon ein Anfang sein, im eigenen Körper neugierig zu spüren, wie Anziehung sich anfühlt – und diese dann auszudrücken und deinen Bedürfnissen eine kleine Stimme zu geben.
Ich hoffe meine Gedanke helfen dir ein bisschen weiter. Wenn du weitere Fragen oder Anliegen hast, kannst du uns jederzeit schreiben. Gib dann einfach die Nummer dieser Antwort an.
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