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Frage Nr. 28363 von 11.12.2019

Hallo ihr Lieben,

Ich bin w/ 22 Jahre, habe schon ein paar sehr hilfreiche Antworten von euch bekommen, danke dafür.
Mein Freund u. ich sind in einer offenen Fernbeziehung und ich habe, wie ich schon in vorigen Fragen angesprochen habe, in den letzten Wochen/Monaten bemerkt, wie stark es mich sexuell zu Frauen zieht. Das ist so weit gegangen, dass ich in den Monaten, in denen ich meinen Freund nicht gesehen habe, langsam zur Überzeugung gelangt bin, dass ich mich gar nicht zu Männern hingezogen fühle und keinen Sex mehr mit ihm haben möchte. Als er vor kurzem eine Woche bei mir war, war ich auch anfangs voll blockiert, sexuell gesehen. Ich habe vor dem Wiedersehen auch viel Druck aufgebaut, wie es wohl werden wird... Wir haben es ein paar mal probiert, aber es hat sich erst echt nicht gut angefühlt. Wir haben die ganze Zeit offen kommuniziert und er hat nie meine Grenzen überschritten. Also haben wir erstmal beschlossen, keinen Sex zu haben. Im Laufe der Woche haben sich die Blockaden jedoch irgendwie wieder gelöst, ich habe mich ihm wieder näher gefühlt und mich zurück erinnert, wie schön Sex vor ein paar Monaten noch mit ihm gewesen ist. Also haben wir es wieder probiert und es hat sich plötzlich wieder richtig gut und schön angefühlt. Das verwirrte mich aber um so mehr. Frauen erregen mich visuell, Männer kaum. Aber ich fühle mich zu meinem Freund auf eine Art hingezogen, in der sich Sex richtig gut und schön anfühlen kann, soweit ich mich ihm emotional verbunden fühle, was in einer Fernbeziehung natürlich auch nicht ständig auf Knopfdruck gegeben ist. Es ist weniger Begierde und Trieb, es ist die emotionale Nähe und Wärme, die mich zu ihm hinzieht. Während des GV's steigt die Lust dann langsam an, dann werde ich dann auch richtig feucht und offen und komme auch hin und wieder zum Höhepunkt.
Ich habe trotzdem den leisen Verdacht, dass mich eine Frau sexuell noch weit mehr befriedigen könnte.
Warum fühlt sich das so unglaublich unterschiedlich an mit Männern und Frauen? Ist es legitim, dass ich weiterhin die Beziehung mit meinem Freund leben möchte, obwohl ich sexuell wohl stark zu Frauen tendiere (und auch vorhabe, das in meiner offenen Beziehung auszuleben)? Wie ihr seht, bin ich immer noch stark im Einordnungsprozess, aber schon um einiges weiter als vor ein paar Wochen. Dass die Beziehung eine Fernbeziehung ist, macht das ganze natürlich noch ein Stück komplizierter.
Ich wünschte ich könnte einfach sagen, ich bin lesbisch! oder: ich bin 50-50 bisexuell! Aber es ist bei mir wohl wirklich nicht so schwarz und weiß, wie ich das gerne hätte.

Unsere Antwort

Ich vermute mal, dass du die Fragestellerin von Frage 27449 und 27626 bist. Zumindest passen die Angaben darin sehr zu deiner jetzigen Frage. Das hilft mir noch weiter zu verstehen, an welchem Punkt du gerade bist.

Du willst dich offenbar am liebsten sofort einordnen. Du möchtest das ganz klar und eindeutig haben, ob du lesbisch, bisexuell oder was anderes bist. Du versuchst nun schon eine Weile, dass du dich in ein Schema pressen kannst. Allerdings merkst du nur, wohin dich das Ganze führt: Du zweifelst stark an dir und deinen bisherigen Erfahrungen. Dabei ist alles gut. Du empfindest genau das, was du empfindest. Du schwärmst für Frauen. Du bist Männern nicht an sich abgeneigt. Du kannst den Sex mit deinem Freund auch geniessen. Das ist alles okay und in Ordnung. All das darf gleichzeitig da sein.

In einer längeren Liebesbeziehung ist es normal, dass sich die gemeinsame Sexualität verändert. Du bist schon mehr als ein Jahr mit deinem Freund zusammen, wenn ich das aufgrund deiner letzten Fragen recht überblicke. Du willst deinem Freund nahe sein, weil du dich emotional mit ihm verbunden fühlst. Leidenschaftlich und lustvoll wird es dann erst beim Sex selbst. Das geht einigen Paaren so in einer längeren Beziehung. Liebe und Lust auf Sex sind nämlich nicht dasselbe. Lies dazu bitte diesen Text.

Bei dir kommt ja hinzu, dass du gedanklich sehr auf Frauen fixiert bist. Es ist fast so, als ob du nun schon lange Frauen hinterher fieberst. Du erlaubst dir wohl dennoch nicht, dass du mal einen Schritt auf sie zugehst. Gerade das macht sie aber wohl so reizvoll für dich. Sie erscheinen dir nämlich unerreichbar. In einer offenen Beziehung hast du viele Spielräume. Mein Eindruck ist, du kannst dich jetzt ausprobieren, so wie du das willst. Gemäss deiner letzten Fragen würde dich dein Freund darin unterstützen.

Menschen können auf Frauen und Männer stehen. Trotzdem muss sie nicht genau das Gleiche an einer Frau anziehen wie bei einem Mann. Das beschreiben wir in diesem Text, den du mittlerweile sicher kennst. Übrigens sind bisexuelle Menschen auch dann bisexuell, wenn sie mehr auf Frauen stehen, oder andersrum mehr auf Männer. Es gibt keine Regel dafür, dass du 50:50 oder 100 Prozent dies oder jenes sein musst. Wer ist das schon? Also wozu braucht irgendwer den Zwang, perfekt in eine Schublade zu passen?

Möglicherweise pfeifst du ohnehin irgendwann auf ein Label. Oder du nennst dich einfach kurz und bündig queer. Den Begriff verwenden viele, die sich nicht ganz mit Begriffen wie lesbisch, bi- oder pansexuell wohlfühlen. Worte und Labels sollen dir Freiräume schaffen. Sie sollen dich nicht einengen. Das tut weder dir noch jemand anderem gut. Du schreitest durch dein Leben. Du sammelst die Erfahrungen, die du möchtest. Du musst dich da ganz gewiss vor niemandem rechtfertigen.

Deine Zeit ist jetzt. Du kannst also mal dem nachgehen, wonach du dich schon länger sehnst. Das wünsche ich dir sehr. Weiter grübeln hilft dir schlicht und ergreifend nicht mehr. Dich ausprobieren hilft dir hingegen schon. Mit der Zeit wirst du herausfinden, was sich für dich stimmig anfühlt. Dann siehst du vielleicht ganz anders auf heute zurück. Und du erkennst, worauf es dir ankommt.

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