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Frage Nr. 28542 von 13.01.2020

Hallo,

ich bin weiblich und schon Ende 30. Ich bin vor einigen Jahren an sehr schwerer Vulvodynie erkrankt. Seitdem ist trotz Verbesserungen durch Behandlungen kein GV möglich. Selbst Streicheln und Berühren geht nur an ganz wenigen Stellen. Ich habe lange Zeit psychisch sehr darunter gelitten, weil ich dachte, dass ich so niemals einen Partner finden könnte: nicht nur, weil ich durch die Krankheit erwerbsgemindert bin, sondern auch, weil eben Sexualität so eine wichtige Komponente einer Partnerschaft ist. Wie soll denn Liebe ohne Sexualität entstehen? Ich habe schon so viele Bekannte sagen hören, man findet vor allem dann den Partner den Besten der Welt, wenn man gerade Sex hat.

Nunja, inzwischen komme ich mit der Krankheit ganz gut klar und habe tatsächlich einen Mann kennengelernt, der sehr verständnisvoll mit mir umgeht. Allerdings stellt sich natürlich die Frage nach der Sexualität, und er würde sich deshalb eine "offene Beziehung" wünsche. Selbstverständlich wäre die dann natürlich auch auf meiner Seite offen (naja, aber wer hätte schon Interesse an Freundschaft plus mit einer Frau, die keinen Sex haben kann?!). Ich verstehe diesen Impuls des Mannes natürlich, es tut mir ja auch jedes Mal im Herzen so sehr weh, wenn ich ihm das, was ich mir selbst ja auch so wünsche, nicht geben kann.

Auf der anderen Seite: Ich weiß nicht, ob eine offene Beziehung gut gehen kann. Ich meine, jede "richtige" Frau mit funktionierender Vagina wird doch dann das auslösen, wovon so viele sprechen: Beim Sex bindet man sich durch die ganzen Botenstoffe, hat das Gefühl, diese Person ist die wunderbarste der Welt. Diesen direkten Vergleich werde ich nicht bestehen können. Es gibt schließlich auch Frauen, die meine "Vorzüge" haben und die gesund sind. Und wenn schon offene Beziehung, dann möchte ich die Nr.1 sein, und nicht eine von zwei gleichwertigen Beziehungen. Das wird mir zwar zugesichert, aber ich weiß nicht, ob das wirklich funktionieren kann.

Außerdem habe ich Sorge, denn trotz Safer Sex kann man sich ja mit allem möglichen infizieren und ich habe schon genug Schmerzen und brauche nicht noch HPV, Chlamydien oder sonstwas obendrauf.

Andererseits ist mir auch klar, dass ich nunmal diese Erkrankung habe und von einem jungen, gesunden Mann nicht erwarten kann, auf "richtige", maximal befriedigende Sexualität zu verzichten. Ich hatte noch nie eine richtige Partnerschaft, und würde mir diese Erfahrung wünschen, auch wenn natürlich der Preis zu bezahlen ist, dass ich psychisch irgendwie mit dem "Fremdgehen" klar kommen muss. Es schmerzt mich so, dass ich sozusagen dieses Leid unter das allegemeine berufliche, hobbymäßige und körperliche Leid dazuaddieren muss, dass diese Krankheit ohnehin schon mit sich bringt. Ich muss sozusagen dies ertragen, um auszugleichen, dass ich nicht so bin wie die anderen Frauen.

Bitte schreiben Sie mir nicht "es gibt so viele andere Formen der Sexualität". Natürlich gibt es die, und die praktizieren wir auch. Diese sind aber eher wie ein Topfen auf den heißen Stein. Das haben mir auch viele andere Betroffene erzählt. In einem Selbsthilfenetzwerk (www.vulvodynie.ch) gab es einen Workshop zur Sexualität, auch für Partner. Anonym wurde dann teilweise mitgeteilt, was einzelne Personen schrieben. Die Männer wie die Frauen erlebten es trotz anderer Sexualpraktiken zu fast 100 Prozent so wie wir.

Es ist dann eben eher wie ein ewiges Vorspiel, was irgendwann auf beiden Seiten körperlich schmerzhaft wird, weil der Erregung kein richtiger Höhepunkt folgt/folgen kann. Und das irgendwie frustierend ist. Denn beide Seiten wissen ja, dass jetzt, an dieser Stelle, nur x oder y nötig wäre. Was ich aber nicht anbieten/umsetzen kann. Es bleibt mein seelischer Schmerz, selbst keine Befriedigung zu erlangen, sie nicht geben zu können. Und seine Trübung des Vergnügens, weil ich er immer Angst hat, mir weh zu tun und mir zwischendurch unabsichtlich auch einmal weh tut. Es reicht ja eine federleichte Berührung an falschen Stelle dazu aus.

Ich habe jetzt irgendwie eine ziemlich lange Frage geschrieben, ich hoffe, das ist ok. Ich bin einfach überfordert, damit klarzukommen, dass ich wegen meiner Krankheit eigentlich "Fremdgehen" erlauben muss, wenn mir ein Partner etwas bedeutet. Kann man denn mit diesen Gefühlen lernen klarzukommen? Sodass es mit der Zeit nicht mehr so schlimm ist? Weil jede offene Beziehung, die ich in meinem Freundeskreis erlebt habe, ging nicht gut.

Dankeschön!

Unsere Antwort

Ich bin nicht der Meinung, dass du grundsätzlich wegen deiner Krankheit "Fremdgehen" erlauben musst. Du kannst dich aktiv dazu entscheiden, deinem Partner diese Freiheit zu gewähren, wenn ihr beide das gut miteinander ausgehandelt habt und du wirklich dahinterstehen kannst. Aber ich würde es nicht als deine einzige Option anschauen. Denn das versetzt dich in eine sehr eingeschränkte Position, bei welcher du Gefahr läufst, dich fremdbestimmen und verletzen zu lassen.

Natürlich habt ihr erschwerte Bedingungen und es bedeutet für beide eine starke Einschränkung in euren Erlebensmöglichkeiten. Diese Herausforderung kennen aber alle Menschen mit einem Handicap oder einer chronischen Erkrankung. Mir erscheint enorm wichtig, dass jemand, der von einem Handicap betroffen ist, sich nicht von vornherein zurücknimmt oder herabsetzt und Dinge akzeptiert, die eigentlich gegen die eigenen Bedürfnisse sind. Eine Einschränkung zu haben, bedeutet nicht, dass man ungewollte Dinge hinnehmen muss.

Ich finde es allerdings ebenso wichtig, dass auch die andere Person nicht das Gefühl bekommt, einfach alles so hinnehmen und akzeptieren zu müssen. Vielmehr geht es darum, zusammen kreative Lösungen zu finden. Und dies geht am Erfolgreichsten, wenn beide aus einer Position der Stärke und der respektvollen Achtsamkeit für sich selbst und den anderen aufeinander zugehen.

Legt beide dar, welche Werte euch sehr wichtig sind. Zum Beispiel dein Bedürfnis, die klare Nummer 1 zu sein und nicht eine von zwei gleichwertigen Beziehungen. Und es gibt bei diesem Thema sicher noch mehr Dinge, die dir sehr wichtig sind. Und das gleiche gilt für deinen Partner. Versucht, offen einander zuzuhören. Überlegt euch möglichst viele verschiedene Möglichkeiten, wie ihr das Problem angehen könntet. Seid kreativ und offen, es können auch ganz ungewohnte Vorschläge und Ideen sein, die "Out of the Box" sind. Schaut euch die verschiedenen Ideen an und sucht etwas aus, das für beide interessant tönt.

Ein bisschen mutig darf man dabei schon sein. Und wenn ihr etwas probiert, zum Beispiel eine offene Beziehung, dann setzt klare Grenzen und eventuell auch ein zeitliches Limit, also zum Beispiel eine Probephase, wo ihr das mal ausprobiert für einen oder drei Monate oder so. Und nach dieser Zeit setzt euch wieder zusammen und redet darüber, wie es euch ergangen ist dabei. Macht vorher genau ab, was erlaubt ist und was nicht. Zum Beispiel dass Verhütung mit Kondom ein absolutes Muss ist. Wie oft darf die gleiche Person getroffen werden? Oder sind nur Onenight Stands erlaubt? Darf die Person auf keinen Fall aus eurem gemeinsamen Freundeskreis sein?

Bewährt hat sich auch die Option, dass man "Stop"-Signale aussprechen kann. Das heisst, wenn einer der beiden merkt, dass dieser Versuch für ihn oder sie nicht funktioniert und zu belastend ist, dass er oder sie stop sagen kann. Verhandelt dies gut miteinander und haltet euch zu 100% an die vereinbarten Abmachungen. So entsteht Vertrauen zueinander und in so einem Setting können offene Beziehungen manchmal funktionieren. Aber oft kommt es zu Verletzungen und deshalb gilt es, sehr achtsam und vorsichtig miteinander zu sein und sich dies gut zu überlegen. 

Prüfe also gut, was dir wichtig ist und zu was du ja sagen möchtest. Und vor allem werdet kreativ - dann kommt man manchmal zusammen auf ganz erstaunliche und gute Ideen.

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