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Frage Nr. 33639 von 20.09.2021

Ich schreibe Euch zum Thema Ängste und schwierige Gedanken. Ich lese regelmäßig eure Fragen und Antworten und lerne viel. Danke !!

Ich habe oft stressige Gefühle und Ängste in Form von Bildern und Szenarien in meinem Kopf. Mein Gehirn münzt Teile meines real Erlebten in fiktive, sehr bedrohliche Szenarien um. Dass für mein Gehirn Realität und Fiktion (und die daraufhin entstehenden Gefühle) keinen Unterschied machen, meine ich verstanden zu haben.
Ein Beispiel: Ich blicke gerade gedankenversunken auf eine Landkarte und sehe einen See, an dem ich schon mal war. Im nächsten Moment erlebe ich das Bild, dass ich in diesem See zu ertrinken drohe. Ich bekomme Angst, obwohl ich ja im Trockenen bin.

Ich habe schon gelernt, diese Bilder überhaupt als solche wahrzunehmen und als Ängste zu identifiziert. Das war mir nämlich lange gar nicht bewusst. Die Bilder haben oft mit Bedrohung, Überforderung, Ausweglosigkeit, sehr oft mit Verlust von körperlicher Integrität und Beengtheit zu tun. Die Bilder sind sehr übersteigert und absurd, oft ekelhaft, brutal und grausam.


**** Ich muss hier etwas ausholen, bitte diese Passage ab hier nicht veröffentlichen:
[...]

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Ab hier wieder veröffentlichen:

Ich vermisse theoretisches Hintergrundwissen zu diesen Vorgängen im Gehirn. Wie kommen denn solche Bilder und Gedanken zu Stande? Ist ein Teil meines Nervensystems überaktiviert? Ich weiß, dass Euer Schwerpunkt ein anderer ist, aber schreibe euch deshalb, weil ihr öfter schon über den Zusammenhang von Gedanken und körperlichen Zuständen und deren gegenseitige Bedingung geschrieben habt. Wäre die Polyvagaltheorie eine Spur?
Ich bin für Leseempfehlungen offen.

Sicherlich erlebe ich neben diesen Schreckensszenarien auch viele positive und schöne Bilder in meinem Kopf, die ich mal bewusster, mal unbewusster erlebe. Aber diese Horrorszenarien würde ich gerne „abschalten“ können, noch bevor sie auftreten.
Vielen Dank, wenn ihr noch ein paar Inputs habt.

Unsere Antwort

Danke für dein Lob!

Du bist offenbar sehr stark im Kopf unterwegs, die Gedanken spielen eine grosse Rolle. Deine Aufmerksamkeit klebt an deinen Gedanken fest.

Ich möchte dir ein paar neue Ideen geben, mit denen du dich mal beschäftigen könntest.

1. Du bist auch dein Gehirn, dein Gehirn ist nicht etwas ausserhalb von dir, dem du ausgeliefert bist. Du stellst also diese Bilder selber her. Diese Bilder geben dir eine hohes Erregungsniveau (Angst). Ein hohes Erregungsniveau kann unangenehm sein. Es lässt dich aber auch gleichzeitig fühlen, dass du noch am Leben bist. Also du spürst DICH in dem Moment. Meine Frage: spürst du dich genug im Alltag? Machst du "aktiv" etwas, um dich im Alltag zu spüren, um dein Erregungsniveau zu erhöhen? Ich meine damit etwas, was dich wirklich herausfordert: zum Beispiel Fallschirmspringen oder auch Horrorfilme schauen oder etwas anderes in der Art. Wenn nicht, würde ich dir raten, dir so etwas zu suchen. Nicht jeder Mensch braucht ein hohes Erregungsniveau, deshalb wird ein niedriges Erregungsniveau oft als Norm festgelegt, wie man zu sein hat. Das entspricht aber bei vielen Menschen nicht der Realität. Das heisst, vielleicht fährst du deine Gefühle im Alltag oft runter, weil man ja ausgeglichen sein sollte....Es ist wichtig, dass du ein hohes Erregungsniveau bewusst erlebst und nicht versuchst es loszuwerden. Das heisst, wenn du zum Beispiel einen Horrorfilm schaust, dann versuche die Angst im ganzen Körper zu spüren, nicht nur im Hals oder in der Brust oder im Kopf oder im Bauch.

2. Es kann sein, dass sich ein Teil von dir eingesperrt fühlt, sich zerfleischt vorkommt, sich in der Sackgasse fühlt, Angst hat um sein Dasein usw. Das passiert zum Beispiel, wenn man nicht das Leben lebt, das einem eigentlich entspricht. Deine Gedanken könnten das widerspiegeln. Dieser eingeengte Teil von dir meldet sich dann zu Wort, wenn du Ruhe hast, und veranschaulicht dir, wie es ihm geht bzw. was du mit ihm/mit dir machst. Es könnte also ein Hinweis für dich sein. Das ist eigentlich gut, denn es gibt dir, wenn du anfängst es zu verstehen, die Chance wieder zu deinem "eigentlichen Ich" zurückzukehren.

3. Was machst du in deinem Leben sonst? Was ist dein Beruf? Was machst du in der Freizeit? Arbeitest du hauptsächlich mit dem Kopf, oder arbeitest du mit den Händen? Falls du hauptsächlich mit dem Kopf arbeitest, würde ich dir empfehlen, dich aktiv mehr mit Materie zu beschäftigen. Das entweder im Sinne von etwas mit den Händen erschaffen/handwerken oder aber auch, dass du die Handgriffe, die du im täglichen Leben machst, bewusst machst. Als Beispiel: du willst eine Zwiebel schneiden. Das kann man auf verschiedene Art und Weise machen. Man kann es zum Beispiel so nebenbei tun, dann bleibt man in seinen Gedanken beim Nachdenken über irgendetwas und schneidet nebenher die Zwiebel. Man kann es aber auch so machen, dass du den Griff des Messers in deiner Hand fühlst und fühlst, wie es sich anfühlt mit dem Messer die Zwiebel zu schneiden. Wieviel Druck du brauchst, ob es Geräusche macht, wann es nachgibt. Wenn dann deine Gedanken in ein anderes Szenario mit dem Messer abgleiten, kannst du dich aktiv wieder zurückholen, indem du dich auf den materiellen Teil konzentrierst, also das tatsächliche Fühlen in der Hand, das tatsächliche Sehen mit den Augen. Denn das andere, was sonst abläuft, ist in der materiellen Realität nicht vorhanden. Es gibt Ausnahmen, in denen das nicht möglich ist, weil die Realität nicht mehr gesehen wird – zum Beispiel in Psychosen –, aber ich gehe davon aus, dass das bei dir nicht der Fall ist.

Wenn du auf eine Landkarte blickst, solltest du nicht gedankenversunken darauf schauen, dann schaust du da nämlich nicht hin, sondern schaust weg. Das heisst deine Aufmerksamkeit ist nicht mehr auf der Landkarte, sondern irgendwo in deinen Gedanken. In dem Moment, wo du das realisierst – und das gelingt dir ja, wie du schreibst, schaust du wieder aktiv auf die Landkarte. Das heisst, du guckst genau: Wie lang ist der See auf der Landkarte? Welche Form hat er? Du suchst die Landkarte ab nach Details, die Orte im Umkreis des Sees usw.

Wenn du abends im Bett liegst, und ein Szenario beginnt, konzentrierst du dich auf das, was dein Körper spürt: Wo liegt er auf der Matratze auf? Wie hart ist sie dort? Wie warm ist es an der Körperstelle? Und so weiter. Das heisst mit anderen Worten, du richtest deine Aufmerksamkeit auf etwas anderes. Das versuchst du jetzt ja auch, indem du vielleicht versuchst, was anderes zu denken, was schöneres. Aber das ist nicht das Gleiche, denn es ist schwieriger die Aufmerksamkeit von etwas Imaginärem auf etwas anderes Imaginäres zu richten. Es ist einfacher die Aufmerksamkeit auf etwas tatsächlich Materielles zu richten, was im Moment vorhanden ist. Dabei hilft dir dein Körper auch. Wenn du nur auf schöne Gedanken wechseln willst, ist dein Körper nicht miteinbezogen, das ist schwieriger.

Stelle dir deine Aufmerksamkeit wie einen Rüssel vor, der sich an etwas festsaugt, den du aber eigentlich auch selber bewegen kannst. Im Moment ist es fast schon eine Gewohnheit, dass der Rüssel sich immer am Gleichen festsaugt. Die Muskulatur, die der Rüssel braucht um in die Richtung zu gehen und sich dort festzusaugen, ist also gut ausgebildet. Wenn du jetzt den Rüssel da wegziehst und in eine andere Richtung lenken willst, ist die Muskulatur dafür im Moment eher schwächlich. Aber das ändert sich je öfter du das bewusst machst. Und wie gesagt, lass dir dabei vom Körper helfen, das ist einfacher.

Wenn du die Aufmerksamkeit nicht abbekommst von den Szenarien, dann bleibt ja deine Angst bestehen. Dann solltest du versuchen, diese Angst körperlich zu spüren und zwar überall im Körper. Du willst ja diese Bilder loswerden, damit du nicht mehr so stark fühlen musst. Die Bilder alleine, ohne Angst, Panik und Ekel, wären ja nicht so bedrohlich. Das heisst mit anderen Worten du willst, deine Angst (Ekel, Panik, Wut) loswerden. Je mehr du versuchst sie loszuwerden, desto stärker werden sie oft. Besser wäre es, sie also anzunehmen und ihnen ganz viel Platz zu geben, nämlich den gesamten Körper.

Wenn dir etwas unklar ist, was ich geschrieben habe. Dann schreib uns bitte noch einmal und gib die Nummer dieser Frage an, damit wir es zuordnen können.

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