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Frage Nr. 34331 von 08.12.2021

Hallo
Ich identifiziere mich als w und bin 29 Jahre alt. Ich bin seit 4 Jahren in einer Beziehung mit einem tollen Menschen (m). Seit 2 Jahren läuft es bei uns im Bett absolut schlecht. Ich hatte vor 2 Jahren mal etwas ausserhalb unserer Beziehung (habe ich nachträglich gestanden und wurde akzeptiert) und seither fantasiere ich immer mehr darüber, ausserhalb unserer Beziehung sexuelle Erfahrungen machen zu dürfen. Ich möchte aber meine Beziehung nicht missen, sondern sie nur anders leben.

Ich habe auch grosses Interesse an Frauen und leider keine Ahnung, inwiefern/wo ich auf Frauen treffen könnte, die sich auch für mich interessieren könnten? Naja, irgendwie ist gerade alles sehr kompliziert und diese Gedanken und Gefühle sind neu für mich. Ich bin letztlich deprimiert darüber, in einer Beziehung festzustecken, deren Rahmenbedingungen ich jetzt erst - fast schon entrüstet - in Frage stelle. Warum ist die monogame Beziehung "normal" und wie gelingt es uns, dies nach so langer Zeit zu ändern? Ich weiss gerade überhaupt nicht, wie ich all das sortieren kann. Ich möchte mich besser kennenlernen und meine Sexualität ergründen.

Danke, falls ihr irgendwelche Tipps oder Links oder sonst was für mich habt. Fühle mich gerade ein bisschen einsam..
+++
34332

Sorry, ich (w, 29) habe vorhin meine Situation geschildert und möchte noch hinzufügen, dass ich meinen Partner zwar äusserlich sehr attraktiv finde und auch wahnsinnig schätze und liebe, er es jedoch nicht (mehr) schafft, mich sexuell zu erregen. Das frustriert mich sehr und lässt sicher viele Zweifel entstehen und natürlich eine riesige Hemmschwelle für ein klärendes Gespräch, weil ich denke, dass diese Offenbarung sehr verletzend sein wird? Ich wünschte es wäre anders und das war es ganz klar lange Zeit auch, aber seit ca. 2 Jahren löst sein Anblick/Geruch/seine Handlungen kaum noch sexuelle Lust bei mir aus. (Wie) kann ich dieses Problem überwinden?! Es stresst mich sehr und ich versuche immer, möglichst eine Erregung heraufzubeschwören, leider erfolglos..

Unsere Antwort

Mit der sexuellen Erfahrung ausserhalb deiner Beziehung hast du quasi einer neuen Welt einen Besuch abgestattet. Als du danach in die alte Welt deiner Beziehung zurückgekommen bist, kam dir diese plötzlich klein und beengend vor. Das Alte passt nicht mehr ganz, aber das Neue ist auch noch nicht wirklich da. Du stehst zwischen zwei Welten. Das ist anstrengend und aufwühlend.

Das Gefühl, in deiner Beziehung festzustecken, ist nicht schön. Eine Beziehung sollte dir helfen, dich gut zu fühlen und du selbst zu sein. Gleichzeitig ist es wichtig, dass du dir bewusst bist, dass man im Leben selten alles gleichzeitig haben kann. Kein Mensch und keine Beziehung kann alles bieten. Egal für was man sich entscheidet, etwas anderes bleibt zurück oder wird ausgeschlossen. Das gilt übrigens auch, wenn man eine offene Beziehung lebt. Auch dort gibt es Spielregeln, auch dort gibt es Verzicht. 

Du schreibst, dass du dich selbst und deine Sexualität besser kennenlernen möchtest. Wenn du dieses Ziel verfolgen willst, dann heisst das, dass nicht alles beim Alten bleiben kann. Wenn du Veränderung und andere Spielregeln willst in deiner Beziehung, dann musst du dich dafür einsetzen. Und das geht umso besser, je genauer du weisst, was du willst.

Zu diesem Wissen gehört, dass du weisst, was eine Beziehung und was eine Sexualität alles leisten können. Vor allem, wenn man schon länger zusammen ist. Sei also fair, wenn du die Beziehung zu deinem Freund einschätzt und eure Sexualität beurteilst. Da wäre eine spannende Frage, ob es wirklich «absolut schlecht» läuft oder ob du vielleicht auch Erwartungen hast, die nicht so einfach erfüllt werden können? Viele Menschen wissen nicht, dass Lust auf Sex nicht automatisch aus einer schönen Beziehung entsteht. An was es liegen könnte, dass du wenig Lust auf deinen Freund hast, kannst du im Text Keine Lust auf Sex? Gründe und Lösungen nachlesen.

Wichtig zu wissen ist, dass deine Lust und deine sexuelle Erregung nicht einfach eine Aufgabe deines Partners ist. Also dass es nicht allein sein Job ist, dich sexuell zu erregen, indem er etwas tut oder einfach nur da ist. Das mag am Anfang der Beziehung gut klappen, wenn noch alles neu und aufregend ist. Aber es ist komplett normal, dass du nach mehreren Jahren Beziehung durch den Anblick, den Geruch oder Gesten deines Partners nicht mehr gleich erregt wirst wie früher. 

Weisst du, wie du dich selbst sexuell erregen kannst? Und wie sexuelle Erregung bei dir entsteht im Kopf und im Körper? Je mehr du darüber weisst und je besser du es selbst kannst, desto weniger bist du davon abhängig, dass es eine andere Person bei dir auslöst. Tipps und Infos dazu findest du im Text Wie funktioniert sexuelle Erregung?

Vielen Menschen gelingt es gut, sich über neue und aufregende Dinge sexuell zu erregen. Das können Erlebnisse oder Personen sein. Wenn Lust aber nur durch Neues ausgelöst wird, dann kann man nie bei jemandem bleiben und noch Lust haben. Weil irgendwann ist man vertraut. Aus Vertrauten kann man auch Lust schaffen, aber es ist etwas anderes, als wenn die Lust durch die Aufregung des Neuen entsteht. Wenn Beziehungen länger dauern, dann geht es also stark darum, dass man allein für sich und zusammen herausfindet, wie man Lust und sexuelle Erregung bewusst schaffen kann. 

Über diese Themen zu sprechen, fällt vielen Menschen schwer. Es gibt aber gute Tipps zum Thema Reden über Sex. Vielleicht müssen du und ein Partner das Reden über Sex auch erst üben. Dass du ihn dabei nicht verletzen willst, ist schön und wichtig. Gleichzeitig sollte dich das nicht komplett zum verstummen bringen. Die Tipps und Infos aus dem Text über Reden über Sex können dir auch helfen, ein Gespräch sorgfältig zu führen. Es macht nämlich einen grossen Unterschied, ob man jemandem sagt «Du bist sexuell nicht gut genug» oder «Etwas stimmt für mich nicht mehr. Hast du Lust, mit mir zu schauen, wie wir das ändern können?».

Je mehr dir bewusst ist, dass Lust und sexuelle Erregung Dinge sind, die ihr erschaffen könnt und vielleicht auch manchmal müsst, dann bist du weniger in der Erwartungshaltung, dass die sexuelle Erregung jetzt unbedingt passieren muss oder dass du sie heraufbeschwören willst. Du kannst aktiv sein und so Verantwortung und Kontrolle übernehmen. Weil wenn etwas unbedingt sein muss, dann gerät man meistens in eine hohe Anspannung und es beginnt ein Gedankenkreisen. Diese Dinge sind aber Feinde von Lust und Genuss. 

All diese Tipps und Gedanken schaffen nicht aus der Welt, dass du in deiner Beziehung und deiner Sexualität vermutlich etwas ändern und Entscheidungen treffen musst. Und dazu gehören Gespräche, die nicht ganz einfach sind. Aber je besser du dich selbst und das Thema sexuelle Lust kennst, desto besser kannst du dich für deine Bedürfnisse einsetzen. Weitere Tipps dazu findest du im Text Wie stehe ich für meine Bedürfnisse ein

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