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Frage Nr. 35264 von 20.06.2022

Hallo,
ich bin w24 und seit 2 Monaten in einer Beziehung. Ich habe leider als Kind bzw. Jugendliche Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch gemacht und war auch bereits in Therapie. Heute würde ich sagen dass ich mit dem Thema eigentlich ganz gut zurechtkomme, in dem Sinne dass es mich im Alltag nicht mehr einschränkt oder mich sonderlich beschäftigt.
Für mich war es dennoch wichtig, dass mein Freund davon weiß, da es einfach ein Teil meiner Vergangenheit ist. Deshalb habe ich ihm davon erzählt, jedoch nur sehr allgemein, keine Details was genau passiert ist. Bloß bemerke ich nun, dass es immer mal so kleine Situationen gibt in denen ich mir denke "wenn er das jetzt wüsste, hätte er das nicht gesagt/gemacht". Einmal habe ich ihn auch darauf hingewiesen, weil er etwas sexuell sehr Explizites thematisiert hat, dass bei mir sehr negative Erinnerungen hervorruft. Er scheint generell offen dafür zu sein, mehr Details zu erfahren, aber ich weiß nicht ob ich mehr darüber erzählen soll. Was wenn er sich dann nicht mehr traut irgendwas zu sagen, aus Angst dass es bei mir was triggern könnte, das will ich auf keinen Fall. Wir sind ja nun auch noch nicht soo lange zusammen, vielleicht ist es auch einfach noch zu früh. Ich glaube, irgendwo in mir drin ist auch die Befürchtung, dass er plötzlich denkt, dass das was mir passiert ist ja gar nicht so schlimm war, wenn er die Details kennt. Aber in meinem subjektiven Erleben als Kind war es eben extrem schlimm, auch wenn keine brutale Gewalt oder sonstiges stattgefunden hat. Ich habe mich damals sehr hilflos und überfordert gefühlt und hatte stark mit mir selbst zu kämpfen, aber aus heutiger Sicht kann ich das natürlich alles besser überblicken. Ich bin mir einfach unsicher wie viel ich erzählen soll. Könnt ihr mir weiterhelfen?

Unsere Antwort

Du beobachtest gut und ziehst die richtigen Schlüsse. So weisst du auch, dass du mit allem, was du deinem Partner erzählst, etwas auslöst. Darum ist es gut, wenn du dir überlegst, wie genau du deinem Partner von den sexuellen Übergriffen erzählst. Du wirst allerdings nicht kontrollieren können, was du auslöst. Schliesslich hat dein Partner eigene Erfahrungen gemacht. Er hat eigene Werte und Haltungen. Darum wird er nicht all das vermeiden, was du für ein Leben ohne Trigger brauchst. Er wird möglicherweise mal etwas nicht so wichtig finden. Dein Job ist es dann, dich nicht angegriffen zu fühlen. Für dein subjektives Erleben kann trotzdem etwas extrem schlimm bleiben, auch wenn andere (er) das nicht nachfühlen können. Selbst wenn dein Freund dir gut zuhört und von ganzem Herzen wünscht, jede Verletzung zu vermeiden. Es wird ihm nicht gelingen. Du kommst inzwischen mit dem Thema ganz gut zurecht. Erwarte also von deinem Freund nicht ein super genaues und fehlerfreies Einfühlungsvermögen. Das könnte zur Belastung in eurer Beziehung werden. Zusammen mit deinen sexuellen Übergriffen hast du Gefühle wie Hilflosigkeit und Überforderung erlebt. Ähnliches kann auch derjenige erleben, dem solche Geschichten erzählt werden. Er könnte ganz verkrampft werden, mit dem Wunsch alles richtig zu machen.

Nimm als Richtlinie für dein Erzählen dein eigenes Bedürfnis. Wenn du möchtest, dass er bestimmte Erlebnisse von dir genauer kennenlernt, erzähl ihm davon. Wenn du aber merkst, dass du auf eine sehr einfühlsame Reaktion angewiesen bist und nicht weisst, ob er die bringt, sag es ihm nicht. Oder liefere ihm deine Lösung gleich mit. Dein Partner sollte ein mittelgutes Einfühlungsvermögen haben. Dann kannst du den Rest übernehmen.

Es gibt allerdings auch Partner, die Schwächen ausnutzen. Sie reagieren verletzend und beschuldigen das Opfer. Sie reagieren bevormundend und sagen vielleicht: „Bei deiner Vorgeschichte kannst du nicht.., darfst du nicht.., willst du nicht.., tut es dir nicht gut..,  etc.“

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