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Frage Nr. 35348 von 01.07.2022

Hallo liebes Team,
ich bin die Fragestellerin von 35255 und habe die Antwort zu 35268 gelesen. Erst einmal vielen Dank für Ihre Mühe und Ihr Angebot.

Erst einmal- ich fand die Antwort des Lilli- Teams eigentlich schon gut und angemessen. Aber auch die Reaktion eines anderen Lesers/einer anderen Leserin in 35268 fand ich interessant.

Deshalb hier ein paar Anmerkungen meinerseits:

Ich fand es ein super spannendes Argument - und was wäre, wenn ich die einzige Frau der Welt wäre, die 30 Minuten bräuchte. Wahrscheinlich hätte ich dann immer ein total schlechtes Gewissen oder würde mich negativ mit anderen vergleichen. Oder ich bräuchte einen Mann, der Vorspiel-verrückt ist und gerade das schätzt.... Aber es ist interessant sich einzugestehen, dass ich mir das wohl kaum gönnen könnte. Oder höchstens ab und zu.

Ich habe auch den Ablauf der Sexualität verkürzt dargestellt. Natürlich gibt es als Vorspiel erotische Gespräche, Küssen, langsames Ausziehen etc. Aber aufgrund meiner vergangenen und bis heute andauernden, jedoch jetzt viel viel leichteren Schmerzproblematik brauche ich explizit etwas Vorspiel, das die Vagina mit einbezieht. Massieren, hinatmen zum Finger des Partners, Beckenschaukel mit Finger auf den verspannten Punkten. Ein wenig lecken, oder mit der Penisspitze massieren. Sozusagen eine Kontaktaufnahme zur Scheide, hallo, wie geht's dir, lass doch bisschen locker für mich.... Ich brauche die Zeit, damit meine Muskulatur sich lösen kann, die immer noch sehr verspannt ist und regelmäßig physiotherapeutisch behandelt werden muss.

Also: Es ist nicht so, er sieht mich und wird sofort geil und will reinstecken. Wobei - dadurch dass er seit Jahren mit mir durch diese Schmerzerkrankung ging, geduldig gewartet hat und mich unterstützt hat überhaupt so weit zu kommen dass Penetration möglich ist, wird er glaube ich beim Vorspiel sehr schnell "übergeil"- nach so langem Warten mit "nur" alternativer Sexualität geht es endlich, wenn auch nur vorsichtig und nicht in allen Stellungen.

Ich denke, und das ist meine Interpretation, beim Vorspiel passieren bei ihm zwei Dinge: Erst wird er übergeil, sodass er sich kaum noch konzentrieren kann. Und wenn es dann länger geht, kommen die Erinnerungen an damals, wo er 30-45 Minuten vor jedem Sex "ackern" und geben musste, und der Groll, der sich damals auf die "Sache Vorspiel" aufgestaut hat, ein bisschen hoch. Wie wenn es ein traumatischer Trigger wäre. Und dann ist schnell aus. Und alle Lust weg und kommt auch nicht mehr.

Und ich fühle mich dann total schlecht, etwas zu fordern, was er aufgrund von früheren Erfahrungen so negativ bewertet, obwohl es ihm doch zu Beginn offenbar so Freude macht, dass er total scharf wird. Es ist wie wenn es da einen bestimmten Punkt gibt, wenn der überschritten ist, ist es aus und er hängt in dieser alten Erinnerung und den zugehörigen Gefühlen. Ich hatte das Gefühl, dieser Punkt liegt bei maximal 5 Minuten.

Wir haben ausführlich über das Problem gesprochen, und ihm ist klar, dass meine Muskulatur sozusagen aufgewärmt werden muss. Aber trotzdem ist das Vorspiel ein Riesenproblem. Ich kann es nicht recht annehmen, wenn er es versucht - und ich glaube ihm kommt es oft länger vor als es tatsächlich ist, und das ohne Hintergedanken sondern aufgrund seiner Vorerfahrungen.

Auch ist für ihn wahrscheinlich schwierig, dass ich nicht die typischen Erregungszeichen dabei zeige, sondern eher entspannen muss damit meine Vagina den Penis aufnehmen kann. Das muss in seinem Unbewussten auch widersprüchliche Signale senden, auch wenn ich verbal ausdrücke, wie sehr es mir gefällt. Die Erregung bei mir kommt dann später, wenn ich mit Atmung und Entspannung eine schmerzfreie Penetration hinbekommen habe, dann baut sie sich langsam auf.

Summa summarum habe ich das Gefühl, dass ihn gar nicht das Vorspiel an sich quält, sondern dabei die unbewusste Angst, dass es wieder so lang dauert wie damals als er dann irgendwann einfach nur noch aufhören wollte. Und ab einem Punkt fängt es an ihm vorzukommen als ob es jetzt bestimmt lang wird... obwohl das nie der Fall war bei mir, ich habe immer versucht "nur" 5-10 Min zu "nehmen".

Immer wenn ich versuche mit ihm darüber zu sprechen, erzählt er mir von früher, von dieser Ex (was ich ihm auch glaube), und dass ich ihm schon sagen soll, was ich jetzt möchte. Er probiert es dann auch umzusetzen. Aber da er schon erregt ist und ich noch nicht und eher noch am Verspannungen wegatmen, kommen wir dann in so eine ungute Situation die wir bis jetzt nicht auflösen konnten.

Da mir beim Vorspiel noch die Erregung fehlt, habe ich kein gutes Zeitgefühl- und er kann wahrscheinlich auch nicht einschätzen, "Wie weit" ich schon erregt und bereit bin- es muss verbal laufen. Vielleicht erinnert ihn das an die Ex, die ewig unerregt dalag bis es irgendwann endlich ging. Ich kann da nur vermuten. Aber ich versuche immer verbal Feedback zu geben.

Ich jedenfall fühle mich mega schlecht, nicht (noch) keinen supertollen "gesunden" Sex bieten zu können, und einfach zwischendurch mal schnell "steckgeil" zu sein, während ich wann anders eben länger brauche. Es ist halt immer noch Vorspiel nötig, und zwar immer, und Gleitgel, und zwar immer, und Vorsicht bei der Penetration auch wenn das mit der Zeit auch immer besser und natürlicher geworden ist, je mehr meine Schmerzen weiter besser wurden und werden.

Und ja, ich fühlte mich total ertappt, dass ich deshalb dazu neige mich aufopfern zu wollen, obwohl ich weiß dass dieser Mann das sicher nicht wollen würde...

Unsere Antwort

Vielen Dank für deine ausführliche Rückmeldung, die freut nicht nur mich, sondern sicher auch die Person, die 35268 geschrieben hat. Sie hat sich inzwischen nochmal gemeldet und noch ein paar weitere Gedanken angefügt. Lies dazu bitte 35338.

Für mich wird jetzt das Bild klarer – und es sind noch viele Fragen offen. Es wäre natürlich toll, wenn du uns wieder schreiben könntest.

Auffällig ist für mich, dass du sagst, du interpretierst, vermutest und glaubst bei deinem Freund Probleme/Gefühle/Gedanken, die wahrscheinlich vorhanden sind – zum Teil sogar nur unbewusst vorhanden sind. So viel Vermutung und Interpretation sind gefährlich. Denn man kann daraus eine Wirklichkeit machen, die möglicherweise aber nicht ist. Du sagt, ihr habt ausführlich darüber geredet. Was heisst das? Was hat er konkret gesagt? Wenn du ihm diese Frage zeigen würdest, und er wäre ehrlich mit dir, würde er dann sagen: "Ja, klar, das ist so, das habe ich dir ja gesagt", oder würde er sagen: "Moment mal, ich seh das anders"? Oder würde er sagen: "Ich glaube, du liegst nicht ganz richtig, aber ich weiss selbst nicht so genau, was es ist"?

Ich empfehle dir, dass du das genau mit ihm besprichst. Frag ihn, ob das wirklich so ist, wie du das oben beschreibst. Du schreibst, er verliert die Lust, und sie kommt nicht mehr. Frag ihn, woran das genau liegt. Du schreibst "Immer wenn ich versuche mit ihm darüber zu sprechen, erzählt er mir von früher, von dieser Ex (was ich ihm auch glaube), und dass ich ihm schon sagen soll, was ich jetzt möchte. Er probiert es dann auch umzusetzen. Aber da er schon erregt ist und ich noch nicht und eher noch am Verspannungen wegatmen, kommen wir dann in so eine ungute Situation die wir bis jetzt nicht auflösen konnten." Wie genau sieht diese Situation für ihn aus? Was geht ihm wirklich durch den Kopf? Wenn ihr bei mir in Sexualtherapie wäret, würde ich das genau anschauen mit euch. Denn nur so kannst du trennen, was sein Anteil am Problem ist und was deiner ist. Du kannst nur an deinem arbeiten. Er kann nur an seinem arbeiten.

Etwas macht für mich nicht so Sinn: Er war offenbar lange Zeit sehr geduldig und konnte gut damit, dass er mit dir nur Petting gemacht hat. Und jetzt hat er diese Geduld nicht mehr. Wie geht das? Du schreibst, er wird übergeil. Wie hat er es geschafft, so lange nicht übergeil zu werden? Da fehlen bei mir Puzzlestücke. Wie hat denn das Petting ausgesehen? Hast du ihn da jemals länger als 5-10 Minuten stimuliert? Wie lang ist er sexuell erregt, bevor er eine Ejakulation hat? Wie sehr geniesst er die sexuelle Erregung, wenn sie länger dauert? Wie schnell ist er zum Orgasmus gekommen? Wie hat er dich denn stimuliert? Bist du schneller sexuell erregt gewesen als jetzt? Warum? Wie schnell bist du zu einem Orgasmus gekommen? Warum war der Tanz unproblematisch, den ihr beim Petting getanzt habt? Was ist jetzt anders? Wir haben einen Text geschrieben, der heisst "Petting als Übung für Geschlechtsverkehr" Habt ihr sowas miteinander gemacht? Lies den Text bitte mal und überleg dir, in wiefern ihr einen ähnlichen Tanz miteinander getanzt habt wie jetzt.

Bei dir spielt sicher mit rein, dass du dir ein langes Vorspiel nicht so richtig gönnst, und dass du dazu neigst, dich aufopfern zu wollen. Überleg dir, warum du dich aufopfern möchtest. Du machst das nicht grundlos. Was bringt es dir? Oder: Was vermeidest du damit? Beim Sex (wie auch ganz allgemein in der Beziehung) ist es sehr, sehr hilfreich, dass wir die eigenen Bedürfnisse in ihrer ganzen Vielschichtigkeit ernstnehmen. Freilich wirst du probieren, dich anzupassen und seine Wünsche vor deine zu stellen, wenn dein Bedürfnis ist, deinem Freund zu gefallen und die Beziehung mit ihm zu sichern. Aber da kommt dein Bedürfnis nach "Beziehungssicherheit" anderen Bedürfnissen in die Quere, die mehr in die Kategorie "Autonomie, Selbstpflege und Selbstverwirklichung" gehören. Das ist ein häufiger Bedürfniskonflikt in Beziehungen. Vielleicht möchtest du dazu mal unseren Text zum Thema Eigenständigkeit lesen.

Machst du eigentlich eine Sexualtherapie? Falls ja, wäre es sinnvoll, dass dein Partner mal mitkommt. Es gibt wunderschöne Übungen, die ein Paar miteinander machen kann, in denen es darum geht, dass beide miteinander sind und trotzdem jeder für sich selbst sorgt. So wie du deinen Freund beschreibst, könnte er von solchen Übungen genauso profitieren wie du. Ich finde deine Autonomie ganz wichtig. Dazu gehört die Frage, wie sehr du selbst dein Geschlecht schon in die Hand genommen hast, wie sehr du schon Kontakt mit deiner Vagina und deiner Beckenbodenmuskulatur aufgenommen hast, wie sehr du dir deine Vagina schon angeeignet hast. Sie gehört ja nicht deinem Partner, sondern sie gehört dir. Als deine Sexualtherapeutin würde ich mit dir unbedingt an dieser Aneignung und Autonomieentwicklung arbeiten. Ich würde dir empfehlen, dass du dir mindestens dreimal in der Woche 45 Minuten Zeit für dich nimmst. Wenn du dich so lang liebevoll dir, deinem Geschlecht, deiner Vagina, deinem Beckenboden zuwenden kannst, glaubst du auch eher, dass das ein Partner grundsätzlich könnte. Du könntest dich auch wesentlich unabhängiger von deinem Partner machen, wenn du dir vor dem Sex mit dem Partner allein eine halbe Stunde Zeit nimmst und Kontakt mit deiner Vagina aufnimmst, bevor ihr überhaupt in eine Interaktion miteinander geht.

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