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Frage Nr. 35564 von 02.09.2022

Liebes Team,

ich bin auf Eure Texte zu verstecker Gewalt in Familien aufmerksam geworden. Und ich frage mich, wie viel von dem was ich als Kind erlebt habe mit meiner nun zu Ende gegangen Beziehung zu tun hat. Und ob meiner Kindheit auch versteckte Gewalterfahrungen eine Rolle spielen?

Ich hab da so ein paar Thesen. Und vielleicht hole ich mir fachliche Beratung oder mache eine Therapie, wenn ihr findet da ist etwas dran.

Ich habe herausgearbeitet, dass ich in meiner letzten vierjährigen Beziehung vorallem Angst hatte vor der Trennung. Das ich mit einer Trennung nicht fertig werde, das sie mich überfordert, das ich den Auszug aus der gemeinsamen Wohnung nicht zu schaffe und so. Eine völlige Fehleinschätzung! Ich bin damit wirklich gut zurecht kommen. In der Beziehung hat aber diese Angst dazu geführt, dass ich mich viel zu oft zurück genommen habe und Konflikten aus dem Weg ging oder zumindest sie nicht ausgelöst habe. Das hat mir meine Expartnerin desöfteren zum Vorwürf gemacht, dass wir nie streiten. Worauf kann diese Angst deuten, also was könnte der Auslöser gewesen in meiner Kindheit? Es wäre hilfreich für mich, wenn ihr da vllt. ein paar Anregungen hättet die ich dann für mich überprüfen kann.

Wenn ich das Verhalten meiner Mutter heute beobachte, fällt mir zb. etwas zum Thema Bedürfnisse ein - über das ihr ja in eurem Text schreibt: Wenn meine Mutter mich heute besuchen möchte sagte sie auffällig oft und mit vorgeschobenen Begründungen ab. Und das immer recht kurzfristig, so dass ich kaum was anderes noch planen kann. Wenn sie sich heute mir gegenüber so verhält, hat sie das früher vllt. auch so? Ihre Bedürfnisse oft über meine gestellt, mich enttäuscht. Nicht aus böser Absicht heraus, sondern sie hat etwas depressives an sich.

Mein Vater hab ich in der Kindheit als recht aufbrausend, leicht zu erzürnen in Erinnernung. Ich glaube, dass ich auch etwas Angst vor ihm hatte. Kann sein, dass er mal Spielzeug durch den Raum geworfen hat. Ich hab ihn auch ein wenig unnahbar empfunden als ich kleiner war. Um seinen Zorn nicht zu erregen, hab ich vllt. sehr verinnerlicht mich zu ducken und keine Konflikte anzubahnen? Als ich älter wurde, hat er immer sehr viel mit mir geredet. Aber, um ehrlich zu sein, ging es da vorallem immer um ihn. Ich hab vllt. so die Rolle des Zuhörers total verinnerlicht? Meine Exparterin beklagte, dass ich zu wenig von mir erzähle und zeitgleich lag sie mir ständig mit ihren Problemen in den Ohren. Das ist fast wie eine Wiederholung.

Ich habe in der Beziehung meine Emotionen nicht so gut ausgelebt. Zwar benannt, aber nicht mal richtig gezeigt. Meine Expartnerin wollte, das wir auch mal laut streiten, Luft ablassen. Aber soetwas kann ich nicht und will nicht, vllt. vor dem Hintergrund von Szenen wie solcher, wo ich mich erinnere wie meine Mutter über 20 Minuten lang laut weinte nach einem Streit.

Ich erinnere mich noch wie mein Vater eine Dekofigur gegen meine Mutter erhob und die dann an ihr vorbei mit voller Kraft auf dne Tisch schlug. Ich erinnere mich noch das ich da stand und rief "nicht", und ihm an an den Arm griff dabei aber er hat mcih vollkommen ignoiert.

Oder wie meine Mutter nach einem Streit zu mir ins Bett bzw. Zimmer kam um nicht bei meinem Vater zu sein.

Einmal ist mein Vater und irgendwann auch mal meine Mutter nach einem Streit einfach abgehauen und ich musste sie dann suchen gehen - wenn ich das so durchgehe merke ich, dass das Szenen sind, die ich lange nicht mehr erinnert habe.

Ich kann mich auch ganz konkret dran erinnern, dass mir mein Vater und meine Mutter mir mal Poklapse geben haben als ich kleiner war. Nicht kräftig und lange, aber das war ja schon demütigend genug. Und ich erinnere mich, dass dies öfters als Drohung im Raum stand: "ich hau dir auf den Hintern wenn du XY tust"- Ich hab meine Mutter mal drauf angesprochen aber sie leugnet das heute.

Die Mobbingerfahrungen in der Schule haben das ganze wahrscheinlich auch nochmal zusetztlich gefestigt. Zumindest gilt diese als Auslöser meiner sozialen Angststörung, gegen die ich eine lange VT gemacht habe. Allerdings war dort die Familie und Kindheit nie Thema.

Bei meiner Expartnerin sehe ich das ganz krass, wie sehr die eigene Kindheit sie prägt. (...)

Konnt Ihr noch ein bisschen genau sagen, was in einer Traumtherapie gemacht wird? Und kann man das, was ich da andeute auch in einer Beratung bearbeiten? Oder welche Form von Traumatherapie wäre geeignet?

Unsere Antwort

Ich denke, du hast schon ganz gut selbst erkannt, dass deine Kindheit in der Tat Einfluss auf dein Beziehungsverhalten von heute hat. Angst vor Trennung tritt oft auf bei Menschen, die sich in ihrer Kindheit nicht darauf verlassen konnten, dass ihre Eltern ihre Bedürfnisse ernst nehmen oder für sie da sind. Auch unberechenbare Eltern, wie etwa dein aufbrausender Vater, tragen zu solchen Ängsten bei. Du hast als Kind Wut und Konflikte als sehr bedrohlich erlebt und gelernt, sie zu vermeiden. Zudem musstest du dich scheinbar oft um die Bedürfnisse deiner Eltern kümmern, statt umgekehrt. Das nennt man auch Parentifizierung, und das ist eine Überforderung für Kinder.

Die Strategien, die du in der Kindheit gefunden hast, um mit diesen Situationen umzugehen, waren damals sehr sinnvoll. Zum Beispiel, hast du für deine Sicherheit gesorgt, indem du Konflikte mit deinem Vater vermieden hast. Diese Verhaltensweisen waren also für dein Kind-Ich sehr nützlich. Das hast du möglicherweise in diesem Text schon nachgelesen.

Ich denke, es wäre eine sehr gute Idee, wenn du dir professionelle Unterstützung suchst. Es gibt unterschiedliche Therapieformen, in denen traumatische Erfahrungen bearbeitet und verarbeitet werden. Bei dir geht es nicht nur darum, dass du verstehst, inwiefern Kindheitserlebnisse und kindliche Gefühlszustände dein heutiges Verhalten beeinflussen. Sondern auch, dass du dich davon befreist und emanzipierst. Wir beschreiben das in diesem Text ein bisschen.

Diverse Psychotherapeut*innen arbeiten mit derartigen kindlichen Erlebnisanteilen. Sie haben z.B. eine Traumatherapieausbildung oder eine Egostates-Therapieausbildung. Aber das muss nicht unbedingt sein. Am besten fährst du, wenn du dir auf der Website einer Fachperson genauer ansiehst, was sie anbieten, und ob dich das anspricht. Dann machst du einen Termin mit zwei oder der drei von ihnen aus. Erst das persönliche Gespräch zeigt dir, ob für dich die Zusammenarbeit mit dieser Fachperson in Frage kommt.

Wenn du vor anspruchsvoller Lektüre nicht zurückscheust, würde ich dir auch das Buch "Brain Talk" von David Schnarch empfehlen. Das gibts auf Deutsch oder Englisch.

Bei weiteren Fragen schreib uns einfach wieder. Gib uns einfach die Nummer dieser Frage an.

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