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Frage Nr. 40006 von 10.07.2025

Hallo Lilli,

erstmal danke für eure Antwort auf die Frage 39775. Eure Tipps haben mein Gefühlsebene in wenig beruhigt und ich bin gerade dran, mich auf ein Gespräch mit meinem Freund vorzubereiten, um das so anzusprechen. Ich hatte das Gefühl, davor erstmal mit mir selbst und meine Wünschen im Reinen zu sein, deshalb hatte ich u.A. mit Podcasts Inspiration für dieses Gespräch gesucht.

Ihr habt gefragt, was ich in einer Sexualtherapie erreichen wollte, sollte ich sie mir eines Tages leisten können. Im Grund geht es dabei genau um die Fragen, die ich versuchte, mit Podcasts zu bearbeiten. Um Fragen, wie ich selbst mit meiner Vulvodynie und dem Frausein umgehen kann, z.B. durch Podcasts von Ann-Marlene Henning. Und eben auch die Fragen, wie ich trotz Vulvodynie meine Beziehung erhalten und stärken kann, hier z.B. der Podcast von Christian Thiel.

...und inzwischen würde ich mir tatsächlich eine Beratung wünschen, denn die Aussagen von Christian Thiel hängen wie ein Gerichtsurteil über mir:

"es ist wissenschaftlich, in Studien erwiesen, dass die Paare mit guten Beziehungen und der niedrigsten Trennungsrate 3-4 Mal pro Woche Sex haben"

-> RUMMS, autsch, das tut weh. Wenn es schon die Wissenschaft sagt...

"Wenn mir ein Klient sagt, der Sex liegt bei einer 2-3 auf eine Skala von 1-10, warum ist der dann mit dieser Person zusammen? Da die Qualität des Sex die Qualität der Gefühle füreinander anzeigt, ist da eine Trennung angesagt."

-> AUA. Die Qualität ist minus 3. Da Sex die Gefühle anzeigt und umgekehrt Gefühle kreiert, ist unsere Beziehung wohl zum Scheitern verurteilt. Ein Wunder, dass mein Partner das schon sechs Jahre aushält.

"Wenn der Sex schlecht ist, sucht sich einer der Partner früher oder später den Kick durch den Hormoncocktail woanders. Und Sex sorgt erst für die Bindung durch die Ausschüttung der Hormone. Deshalb wird er sich dabei auch verlieben und mehr Bindung verspüren, als bei der eigentlichen Partnerin wo diese Hormone fehlen."

-> WEIA. ich warte tatsächlich seit Jahren mit angehaltenem Atem auf diese Situation, dass sie doch mal eintritt...

Ich komme damit nicht klar. Ich fühle mich seit diesen Aussagen nicht mehr sicher, ich warte nur noch auf das Ende der Beziehung und kreiere damit vielleicht eine self-fulfilling prophecy.

Was meint ihr bei Lilli denn dazu? Ja, ihr habt Recht, auf meine Lebenssituation passt der Podcast nicht. Aber gleichzeitig sind das ja Aussagen, die wissenschaftlich fundiert und erforscht sind. Gerade das mit den Hormonen beim Sex, die erst für die Bindung sorgen, und dass die Qualität des Sex und das Gefühlsleben füreinander sich direkt beeinflussen.

Habt ihr einen Tipp, wo ich mir außerhalb des Vulvodynie-Vereins, der auf diese emotionalen Themen nicht wirklich eingeht, da Hilfe holen kann wenn ich mir keine individualisierte Thrapie leisten kann?

Dankeschön!

Unsere Antwort

Ich halte die Aussagen, die du aus dem Podcast zitierst, für sehr kritisch. Natürlich weiß ich nicht, in welchem Kontext sie stehen. Aber so, wie du es schreibst, kann ich das nicht bestätigen.

Viel hilfreicher erscheint uns die Ansicht, dass Beziehungen unglaublich individuell sind. Was Paare zusammenhält ist sehr unterschiedlich. Es ist definitiv nicht nur die Häufigkeit und die Qualität des Sex. Es lassen sich keine allgemeinen Aussagen über die Gefühle füreinander ableiten aus der Qualität des Sexuallebens. Es geschieht nicht zwangsläufig, dass sich Menschen beim Sex verlieben.

Bitte erlaube keine größeren Schlussfolgerungen aus diesen Podcasts, als dass sie dir aufzeigen, wovor du Angst hast. Mit der Erfahrung in der Paar- und Sexualtherapie decken sich die Aussagen von Christian Thiel nicht. Warst du schonmal in einem Wald, der seit langem Naturschutzgebiet ist? Dort gibt es Bäume in den kreativsten Formen, weil sie sich an die Umstände angepasst haben. So blicken wir bei Lilli auf Beziehungen: mit Neugier auf die Kuriositäten der Anpassung und großem Erstaunen darüber, was alles funktionieren kann.

In einer langfristigen Beziehung haben Paare alle möglichen Gefühle zueinander. Von "ich würde dich am liebsten auf den Mond schießen", "ohne dich wäre mein Leben viel besser" über "mit dir ist es eigentlich ganz nett", "toll, dass ich nicht allein bin" bis hin zu "es ist so ein riesiges Geschenk, dass es dich gibt" und "ich möchte mir mein Leben ohne dich nicht mehr vorstellen". Das ist normal.

Es ist auch normal, dass es in langjährigen Beziehungen Phasen gibt, in denen es Unzufriedenheit mit der Häufigkeit der sexuellen Begegnungen gibt. Entscheidend ist, wie ihr damit umgeht. Davon habe ich noch kein Bild. Welches Verhalten beobachtest du bei deinem Freund? Zieht er sich zurück? Versuche ganz klar zu unterscheiden zwischen Fantasiebildern deiner Angst und seinem tatsächlichen Verhalten.

Was ich bei dir beobachte, ist, dass gerade die Angst und die Hilflosigkeit am Steuer sitzen. Das muss nicht so bleiben.

Ich möchte dich sehr darin bestärken, das Gespräch mit deinem Freund zu suchen und den Erhalt deiner Beziehung in die Hand zu nehmen. Schau auf deine Möglichkeiten und wenn dann wieder die Angst und Hilflosigkeit in das Zentrum deiner Aufmerksamkeit rücken, schau wieder auf deine Möglichkeiten. Wie könntest du einen wertvollen Beitrag dazu leisten, dass ihr gut umgeht mit eurem Sex?

Eine Therapie kannst du dir derzeit nicht leisten. Es gibt viele andere Dinge, die dir helfen können. Was tut dir gut? Wie kannst du dir mehr davon gönnen? Mit wem kannst du reden über das, was dich bewegt? Je besser du für dich da bist, desto besser ist auch deine Beziehung.

Ich habe jetzt ein bisschen was davon mitbekommen, wie dich Empfehlungen von außen verunsichern können. Daher wäre meine Empfehlung, dass du nicht so sehr aussen schaust, was dir weiterhilft. Was fühlt sich für dich persönlich stimmig an? Und was fühlt sich für deinen Partner stimmig an? Ich halte es für eine gute Idee, dass du dich darin stärkst, was du brauchst und was für dich stimmt.

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