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Frage Nr. 35402 von 07.07.2022

Liebes lilli-Team,

meine Partnerin und ich (m,49) haben für unsere sexuellen Begegnungen kein festes Skript im Kopf, sondern tuen meist, wonach der Sinn uns gerade steht. Immer wieder kommt es vor, dass meine Partnerin sich dabei wünscht, "gekratzt" zu werden. Mit geschnittenen Fingernägeln und sanftem Druck kratze ich dann mit kleinen, meist kreisenden, Bewegungen ihre Haut. Beginnend am Rücken, über die Schultern hinweg zu den Extremitäten, über den Po wieder an den Oberkörper wandernd, kurz am Bauch, zwischendurch sogar im Gesicht und dann wieder am Rücken. Wie gut ihr das tut, zeigt sie mir meist durch ein angedeutetes Schnurren, Stöhnen und Seufzen und dem gezielten Entgegenstrecken ihres Körpers. Wenn ich dabei die Körperstelle, die aktuell den höchsten Genuss verspricht, verfehle, führt sie mir die Hand oder gibt mir Anweisungen, wie "höher" oder "mehr zur Wirbelsäule". Damit sind wir so gut wie immer mindestens 20 Minuten beschäftigt. Obwohl diese Interaktion überwiegend aus dem sexuellen Kontext heraus entsteht und bei meiner Partnerin hör- und spürbar zu Befriedigung führt, hat sie für mich keinen erotischen Charakter. In meiner Wahrnehmung wechseln sich spielerische und sehr intime Momente unvorhersehbar ab. Erotisch wird es lediglich, wenn ich zwischendurch auch mal die Brust verwöhne.

Während dieses Kratzens sind wir beide ganz im Moment und genießen ganz unser Zusammenspiel von Geben und Nehmen, meine Partnerin insbesondere auch die körperlichen Empfindungen. Obwohl wir das nun schon seit mehreren Jahren machen, fasziniert es mich immer wieder auf's Neue. Insbesondere weil ich dieser Art Kratzen bei mir nicht viel abgewinnen kann. Ich möchte deswegen gerne mehr darüber in Erfahrung bringen. Mein erster Gedanke: Mich erinnert dieses Kratzen an die soziale Körperpflege, die ich zum Beispiel von Primaten und Katzen kenne. Was ich darüber weiss, ist, dass dabei neurologisch das dorsale Lemniskale System aktiv ist und dafür sorgt, dass endokrinologisch Oxytocin, Beta-Endorphine, Glukokortikoide und endogene Opioide ausgeschüttet werden. Ich übe einen technischen Beruf aus. Als medizinischer Laie erkläre ich mir damit, warum meine Partnerin dieses Kratzen insgesamt als wohltuend empfindet und danach so entspannt und zufrieden auf mich wirkt.

Wie kommt es aber dazu, dass es beim Kratzen besonderer Körperstellen zu einer Art Spannungsaufbau und in einem Höhepunkt auch zu spontanen Entladungen kommt? Manchmal hört sich das durchaus wie ein (flacher) Orgasmus an. Mein zweiter Gedanke war demzufolge, dass das, was wir da beide tun, mit dem Kitzeln zu vergleichen ist und ich durch das Kratzen Reflexe auslöse. Meine Partnerin kratzt sich auch selber gerne und nimmt dazu eine weiche Bürste mit einem verlängertem Stiel zu Hilfe. Sie betont immer wieder, dass das zwar einen angenehmen Effekt hat, nicht aber mit dem Kratzen durch mich vergleichbar ist. Sich selbst zu kitzeln funktioniert ja auch nur sehr bedingt. Die Stellen, an denen sie besonders intensiv auf mein Kratzen reagiert, sind für Kitzeln jedoch eher unempfindlich.

Ein dritter Gedanke bezieht sich auf den biografischen Hintergrund meiner Partnerin: Kann es sich hier nach einer Embodiment-These auch um eine sensomotorische Anregung von kognitiven Prozessen handeln? Zum Beispiel: "Da ist jemand, der sich wirklich um mich kümmert." Meine Partnerin spricht oft davon, dass ihr Körper danach so schön prickeln würde. Fast wortgleich berichtet sie über die Wirkung von Saunagängen. Länger anhaltend die eigenen Körpergrenzen spüren zu können, würde bei mir auch zu "I am real, I am alive" führen. Im alltäglichen Zusammenleben erlebe ich bei meiner Partnerin immer wieder Verhaltensweisen, die auf eine unsicher-ambivalente Bindung hinweisen. Ihre Erzählungen über ihre Kindheit und Jugend würden das gut begründen können und enthalten auch Hinweise auf ein mögliches (früh-)kindliches Schocktrauma.

Wie würdet ihr meine Gedanken einordnen?

Unsere Antwort

Ich ordne deine Gedanken als die eines intelligenten Mannes ein, der sich viele Gedanken macht und gut recherchiert.

Sexuelle Erregung baut sich aus so vielen unterschiedlichen Quellen auf, und die sexualtherapeutische Praxis lehrt uns, dass es wohl nichts gibt, was Menschen nicht auch mit sexueller Erregung in Verbindung bringen können, wenn sie es nur lang genug üben. Es gibt sogar Menschen, die kommen über Knabbern am Ohrläppchen zum Orgasmus oder über den Schauer, den irgend ein Rascheln erzeugt.

Möglicherweise ist das mit dem Kratzen banaler als du meinst. Ich persönlich sehe es als genauso verständlich an, dass eine Person Kratzen als erregend erlebt, wie wenn sie sanfte Berührungen oder festen Druck als erregend erleben würde. Viele Menschen erleben beim Kratzen eine gewisse Befriedigung. Kratzen ist ein Reiz, der mit einer leichten Anspannung und mit einer Mehrdurchblutung einher geht. Daher auch das prickelnde Gefühl. Hinzu kommt, dass du es machst und nicht deine Partnerin, d.h. die Erwartungshaltung, was als nächtes gekratzt wird, kann auch schon erregend sein.

Du merkst, dass deine Partnerin das wohltuend, entspannend und zufriedenstellend erlebt. Zu allen emotionalen Zuständen gibt es immer ein neuronales und physiologisches Korrelat. Oxytocin, Beta-Endorphine, Glukokortikoide und endogene Opioide klingen plausibel für den Zustand deiner Freundin, auch wenn ich mich jetzt nicht in die Forschung über Kratzen hineingelesen habe.

Ja, Kindheitserfahrungen können hier eine Rolle spielen. Allerdings würde ich dir empfehlen, nicht einfach vom einen auf das andere zu schliesen, ohne dass du wirklich eine konkrete Verbindung findest. Intensive emotionale Zustände spiegeln sich in bestimmten Körperzuständen, und diese können sexuelle Erregung auslösen. Ebenso können intensive körperliche Zustände sexuelle Erregung auslösen. So erleben schon Kinder sexuelle Erregung. Ihre persönliche sexuelle Lerngeschichte kann dann daraus eine sexuelle Vorliebe machen. Frag doch mal deine Partnerin, wann das mit der Vorliebe für das Kratzen begann, und ob sie irgendwelche kindlichen Erfahrungen mit Kratzen hat.

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