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Frage Nr. 36697 von 27.03.2023

Hallo, Lilli.

Ich bin einfach nur noch ratlos. Ich war mein Leben lang eher dick. Durch eine Bulimie mit 12 Jahren konnte ich abnehmen, hab aber schnell wieder zugenommen. Seit dem war diese Bulimie immer latent da. Nun habe ich -vermeintlich- „gesund“ abgenommen. Ich habe meine Kalorien getrackt mit einer App und zusätzlich 500 Kalorien durch Bewegung verbrannt (Seilspringen, spazieren …).

Mittlerweile wiege ich bei einer Größe von 1,70 m 54 Kilo. Mir isr bewusst, dass es im unteren Gewichtsbereich ist, aber ich bin zufrieden. Nun plagen mich seit kurzem Bingeanfälle, die mich in alte Verhaltensmuster zwängen. Wenn ich so einen Anfall habe, kotze ich ich das Essen wieder aus, kompensiere es mir Sport oder versuche zu hungern. All das mache ich nicht, wenn das Essen nach mein Plan geht.

Es ist aber mittlerweile ein Streitthema zwischen mir und meinem Freund. Er ist besorgt, was ich vollkommen verstehen kann, aber ich fühle mich ungerecht behandelt. Anstatt, dass er mir zuhört und meine Sicht versteht, werde ich - so habe ich es als Gefühl - als die verrückte Essgestörte dargestellt, deren Meinung nicht zählt. Ich erkläre ihm, dass die Bingeanfälle davon kommen, dass ich meinen Emotionen nicht richtig verarbeite, er aber entgegnet, dass es nur daran liegt, weil ich zu wenig esse. Ich erkläre aber, dass ich so gut wie nie faste und das nur eine Reaktion auf das bingen ist. Dann heißt ws aber, dass er mit seinen Nerven am Ende ist und ich uneinsichtig bin. Wenn ich ihm was erzähle, belastet es ihn und wenn ich es verschweige , dann verlässt er mich - so meinte er, wenn ich noch 2 Kilo abnehme, ist er weg.

Das triggert in mir das Gefühl hungern und weiter abnehmen zu müssen, keine Ahnung, warum. Ich fühle mich einfach nicht gehört und wenn ich es so sage, heißt es nur, dass es nicht stimmt.

Auch war es letztens so, dass er gegen mein Willen seinen Eltern davon erzählt hat. Ich hab ihn am Telefon angefleht, dass er das nicht macht, aber es war ihm egal. Dass ich danach sauer war, konnte er auch nicht verstehen.

Ich fühle mich extrem ungeliebt und ungesehen.

Wir haben uns deswegen wieder gestritten. Er meinte er will das nicht mitmachen, wie ich mich zu Tode hunger usw.

Natürlich ist es seine Entscheidung. Wenn er nicht damit klar kommt, ist es okay. Aber ich hab das Gefühl, dass er in seinem Bild über mich so festgefahren ist, dass er meine Sicht und meine Meinung nicht zulassen will. Der Streit ist eskaliert. Ich brauchte ihn und er wollte einfach auflegen. Ich habe dann unbedacht gesagt, dass er sich nicht mehr melden bräuchte, weil ich so extrem verletzt und wütend war. Nun versuche ich ihn ganze Zeit zu erreichen und er geht nicht ran, also weiß ich nicht mal, ob wir überhaupt noch zusammen sind.

Dieses einfache „Auflegen“ und nicht Erreichbarsein ist sl verletzend und kommt ständig vor. Ich hab nciht mal jemanden, an den ich mich wenden kann, da ihm meine ganzen Freunde nicht gepasst haben und er mich verlassen würde, wenn ich noch weiter zu denen Kontakt hätte.

Ich weiß einfach nicht was ich tun soll und wie ich mit der Situation umgehen soll.

Unsere Antwort

Danke für die ausführliche Beschreibung deines Problems. Es gibt eine kurze und eine längere Antwort. Die kurze Antwort lautet: Hol dir unbedingt fachliche Unterstützung. Vielleicht möchtest du dafür diese Linkliste verwenden. Ich empfehle dir dringend Unterstützung für deine Essstörung, deine Probleme mit Emotionen und letztendlich dir selbst.

Die längere Antwort lautet: Deine Essstörung ist gravierend. Du bist am Rande des Untergewichts, und die Binge-Anfälle zeigen dir, dass dein Körper zu wenig hat. Hier gehe ich sowohl mit deinem Freund als auch mit dir einig. Dazu solltest du folgendes wissen: Es gibt Studien über den Unterschied zwischen restriktivem (kontrolliertem) Essen und Nach-Lust-und-Laune Essen. Personen, die nach Lust und Laune essen, verschlägt es den Appetit, wenn sie im Stress sind oder wenn es ihnen schlecht geht. Bei Personen, die sich rund ums Essen zusammenreissen, passiert das Gegenteil: Sie essen mehr, wenn sie im Stress sind oder wenn es ihnen schlecht geht. Ich kenne keine Person mit Binge-Anfällen, die nicht umgekehrt auch restriktiv (kontrolliert) isst. Das eigentliche Problem sind nicht die Essanfälle, sondern das restriktive (kontrollierte) Essen. Bitte lies dazu auch unseren Text über Essanfälle.

Du hast zum einen ein Problem mit deinen Emotionen. Warum verarbeitest du sie nicht richtig? Was hat das für eine Geschichte? Bist du dem mal nachgegangen? Wie stehst du zu dir selbst? Mit welchen Aspekten von dir selbst kommst du klar, mit welchen nicht? Ich empfehle dir diesen Text über die Ursachen von Problemen.

Zum Anderen hungert dein Körper. Er ist im Stress. Ein Kilo weniger und du bist im Untergewicht. Ich verstehe die Angst deines Freundes. Er hat Angst um dein Leben. In solcher Angst benehmen sich Beziehungspartner sehr oft nicht vernünftig. Es ist aus dieser Sicht auch verständlich, dass dein Freund keine offenen Ohren für das hat, was du sagen willst. Er will nur, dass das Problem weggeht – vor allem, dass du ein paar Kilos zunimmst. Er benimmt sich wie jemand, der völlig überfordert mit dem Problem ist. Wenn er dich verlässt, dann hat das mit Selbstschutz zu tun. Er will sich nicht weiter mit dir quälen – oder, aus seiner Sicht, durch dein Verhalten quälen lassen.

Logisch wünschst du dir einen Freund, der gelassener mit dir und deinen Problemen umgeht. Aber in meiner therapeutischen Erfahrung mit Personen mit Essstörung ist das kein realistischer Wunsch. Deinem Freund und eurer Beziehung wäre geholfen, wenn du mit ihm zusammen einen Termin bei einer Beratungsstelle für Essstörungen einhalten würdest.

Dort könntest du dir Adressen von Psychotherapeut*innen geben lassen, und von Ärzt*innen, zu denen du regelmässig zur somatischen Kontrolle gehst. Diese Kontrolle ist rund um Bulimie und tiefes Gewicht einfach ein absolutes Muss, denn dein Verhalten rund um das Essen ist wirklich gefährlich.

Wenn du die regelmässigen Psychotherapie- und Arzttermine einhalten würdest, würde deinem Freund eine Riesenlast vom Buckel fallen. Das könnte die Situation in eurer Beziehung möglicherweise sehr entspannen.

Die Frage ist: Bist du dazu bereit? Bist du bereit dazu, unangenehme Schritte zu unternehmen, um aus der Essstörung herauszufinden und dich mit dir auseinanderzusetzen? Wenn nicht – was hält dich davon ab?

Du kannst uns gern wieder schreiben. Gib dann bitte die Nummer dieser Frage an.

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