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Frage Nr. 37538 von 31.10.2023

Liebe Lilli,
Wie können Menschen Terror wie in Israel ertragen?
Das übertrifft meine menschliche Vorstellungskraft, wenn Menschen mit Messern und Co erstochen und erschossen werden.
Meine Frage ist, weshalb wird das immer schlimmer?
Ich habe mal gehört, dass im Moment von solchen Extremsituationen der Körper in einen Modus wechselt und körpereigenes Morphium herstellt. Dazu kommen Unwirklichkeitsgefühle auf psychischer Ebene (,, wie in einem Film")
Stimmt das?
Wie reagiert der Mensch auf Extremsituationen? Das ZNS regelt sich so, dass ein Mensch in dem Moment keine Schmerzen mehr wahrnehmen kann, weil die körpereigenen Morphine es verhindern?

Unsere Antwort

Du schreibst: «der Terror… übertrifft meine menschliche Vorstellungskraft.» Genau das Übersteigen unserer Bewältigungsfähigkeiten beschreibt die Traumatisierung.

Wir haben für solche Lebenserfahrungen Überlebens-Hilfen. Während eines Angriffs hilft die Stressanalgesie. Hier werden körpereigene Opioide ausgeschüttet, die für einige Zeit die Schmerzwahrnehmung unterbinden. Dieser Vorgang erklärt, das sich manche Menschen trotz lebensbedrohlicher Verletzungen aus einer Gefahrenzone retten können. Opioide können auch in anderen Stresssituationen ausgeschüttet werden. Zum Beispiel bei hoher sportlicher Belastung. Auch hier erlebt der Körper Stress, der allerdings nicht lebensbedrohlich ist.

Andere Überlebenshilfen für bedrohliche Situationen sind der Kampf, die Flucht, das Erstarren und das Ohnmächtigwerden. In der Psychotraumatologie spricht man von den vier F’s: Fight, Flight, Freeze und Faint. In bedrohlichen Gefahrensituationen reagiert unser Körper zu unserem Schutz schneller als wir denken können. Bevor wir bewusst entschieden haben, haben wir uns schon gewehrt (Fight) oder sind weggerannt (Flight). Es kann aber auch passieren, dass wir handlungsunfähig werden. Opfer von Gewalttaten berichten davon, dass sie sich wie eingefroren gefühlt haben (Freeze) oder sogar bewusstlos (Faint) geworden sind.

Unser Körper hat zwar die beschriebenen Überlebenshilfen vorgesehen. Allerdings heisst das nicht, dass wir deswegen vor Schäden durch Gewalt geschützt sind.

Wenn Menschen so schwere Gewalttaten wie Terrorakte erleben, können sie ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) entwickeln. Das PTBS zeigt sich Tage bis Monate nach der Gewalttat. Ein Symptom ist die Übererregung. Die Gewalttat wird vom Körper immer wieder ohne innere Vorbereitung durchlebt. Dies nennt man Flashbacks. Der Körper reagiert dann in ‚normalen’ Belastungssituation so als sei er in Lebensgefahr. Er ist in ständiger Alarmbereitschaft, was sich in Unruhe, Angst, Schreckhaftigkeit, aber auch in Reizbarkeit und plötzlicher Aggression zeigen kann. Auch Schlaflosigkeit und Alpträume können die Folge sein. Zur Vermeidung der Übererregung kann es auch zu vermeidendem Verhalten kommen. Alles, was irgendwie an die Gewalterfahrung erinnern könnte wird umgangen. Ein weiteres Symptom ist die emotionale Betäubung, die sich in Gleichgültigkeit oder Teilnahmlosigkeit zeigen kann. Oft ist damit der Rückzug von Familie und Freund*innen verbunden. 

Auch das Gefühl der Unwirklichkeit ist ein typisches Symptom der PTBS. Die erlebte Gewalt überschreitet die bisherigen Lebenserfahrungen. Als Gedanke kann «das kann doch nicht wahr sein» auftauchen. Der Körper kann so tun, als sei es nicht wahr. Dann nimmt die Person ihr Umfeld «wie in einem Film» wahr.

Die Folgen von Gewalt, die sich als Symptome im PTSB zeigen, wiederholen eigentlich immer die Überlebensreaktionen der vier F's. Für viele Opfer von Gewalt fühlt sich das so an, als höre die Gewalt niemals auf. Oft werden sie deswegen von ihrer Umgebung nicht verstanden. 

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