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Frage Nr. 33302 von 07.07.2021

Hallo Lilli-Team,
ich (m,22) versuche ständig es allen recht zu machen. Ich kann gedanklich nachvollziehen, dass mir das nur schadet, trotzdem fällt es mir extrem schwer das zu ändern, da ich mich impulsiv meistens aus Angst vor Ablehnung unterordne. Gleichzeitig verachte ich mich für dieses unterwürfige Verhalten. Mir fehlt aber das Selbstbewusstsein, um die möglichen negativen Reaktionen anderer aushalten zu können.

Meine Jugend war durchgehend von Ablehnung und Ausgrenzung geprägt. Meine Eltern haben mich (finanziell) bei allem unterstützt, richtige Zuneigung habe ich aber nie von ihnen erlebt. Wie komme ich aus diesem Teufelskreis raus? Ich habe das Gefühl, dass ich gar nicht weiß, wie ich die Angst vor Ablehnung oder das fehlende Selbstbewusstsein angehen soll, da alles miteinander verwoben ist.

Unsere Antwort

Ich sehe das nicht so, dass dir das "nur schadet". Sonst würdest du es nicht machen. Du ziehst auch einen Gewinn daraus. Den Gewinn findest du hier: Du schreibst, du ordnest dich impulsiv aus Angst vor Ablehnung unter. Der Gewinn ist die Vermeidung von Ablehnung. Umgekehrt ist der Gewinn, dass die Leute dir wohlgesonnen sind, wenn du dich unterordnest. Du hast also ein klares Bedürfnis, das du mit deiner Unterwürfigkeit befriedigst. Man könnte ganz grob sagen, es ist das Bedürfnis nach (sozialer) Sicherheit.

Dummerweise haben Menschen aber immer unterschiedliche Bedürfnisse – und die vertragen sich oft nicht so gut miteinander. Bei dir meldet sich ein anderes Bedürfnis: Ich vermute, du möchtest auf dich stolz sein, du möchtest mutig und eigenständig sein. Unabhängig von der Meinung anderer. Du könntest das "das Bedürfnis nach Autonomie" nennen.

Bei vielen Menschen stehen diese zwei Bedürfnisse in einem Konflikt miteinander. Den Mut zu mehr Autonomie finden nicht wenige erst, wenn sie voll Überdruss und Verachtung für sich selbst sind. Und an dem Punkt bist du angekommen. Sehr gut, jetzt kannst du üben: Du siehst Selbstbewusstsein als Voraussetzung, dich unabhängiger und stärker gegenüber anderen zu machen. Ich sehe es als eine Folge: Die Erfahrung, Kritik oder negative Haltung anderer auszuhalten, macht stolz.

Als Kind warst du Opfer, heute bist du Freiwilliger. Es ist dein Entscheid, dass du der Vergangenheit weiterhin die Macht über die Gegenwart gibst. Als Kind hatten Ablehnung und Ausgrenzung einen ganz anderen Wert. Da gings, was die Familie betrifft, ums (emotionale) Überleben, denn ein Kind überlebt nicht ohne Familie. Ein Erwachsener schon.

Aber da schwirren durch deinen Kopf noch so alte emotionale Erlebniszustände, die noch nicht kapieren, dass die Vergangenheit vorbei ist – dass du nicht mehr 10, 8 oder 4 Jahre alt bist. Emotionale Erlebniszustände haben nämlich kein Zeitgefühl. Wenn du in eine sozial eher stressige Situtation kommst, werden die wachgerufen. Und schreien dann ganz laut: "Hilfe, Ausgrenzung!" "Hilfe, Ablehnung" – und zwar aus der Sicht eines Kindes. Sofort reagierst du emotional wie ein Kind, und für ein Kind gibts in dem Fall nur eins: Unterwerfen.

In gewissen (Trauma-)therapie-Richtungen, z.B. der Egostate-Therapie, geht es darum, sich diesen Zuständen zuzuwenden und zu lernen, sie zu beruhigen, sie in Sicherheit zu bringen, ihnen ein sicheres Gefühl dafür zu vermitteln, dass die Gefahren von damals heute nicht mehr sind, und dass du als erwachsener Mann dich gut um dich selbst kümmern kannst. Wenn du selbst nicht weiter kommst, könntest du dir möglicherweise so eine Therapie gönnen.

Auf Lilli läuft übrigens zur Zeit das Projekt Gewalt in der Familie, wo es unter anderem darum geht, Hilfe zur Selbsthilfe beim Lösen aus alten Familiensystemen zu geben. Du wirst in den nächsten drei Jahren hierzu immer mehr Texte dazu auf unserer Website finden. Jetzt sagst du dir sicher: "Moment mal, meine Familie war aber nicht Gewalttätig". Richtig. Aber da ist auf subtile Weise etwas abgelaufen, was dir nicht gut getan hat. Darum geht es in diesem Projekt.

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