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Frage Nr. 34487 von 24.01.2022

Hallo,
mir wurde eine starke Sozialphobie und mittelgradige Depression diagnostiziert. Ich studiere Psychologie, lese alles über diese beiden Diagnosen und ihre Behandlung, was ich in die Finger kriegen kann und verstehe immer noch nicht, wie ich mir helfen kann. Die Symptome machen mich fertig. Auf der einen Seite bin ich extrem angespannt, kann keinen Blickkontakt halten (dieses Problem habe ich schon lange und irgendwie wird es nicht besser. Auch nicht mit Techniken wie "2 Sekunden in die Augen, auf die Nase und auf den Mund schauen und dann wiederholen") und fühle mich durch alles und jeden bedroht. Auf der anderen Seite, erlebe ich mich als kognitiv langsam, unflexibel, verbringe viel Zeit allein daheim und habe Schwierigkeiten mich morgens überhaupt aus dem Bett zu bewegen oder mich zu duschen.

Meine Vergangenheit ist so beschissen, wie man sie sich anhand dieses Textes vorstellen kann. In der Grundschule war ich immer ein sensibles, aber exzentrisches Kind, dass andere manipuliert und viel gelogen hat. Oft, um bewundert zu werden, aus Eifersucht oder am Spaß dabei, andere aufeinander losgehen zu sehen. Irgendwie war immer schon etwas falsch mit mir. Im Gymnasium wurde ich erst gemobbt und dann ausgegrenzt und kollektiv ignoriert oder beleidigt. Bis ich es dann irgendwann auf eine andere Schule geschafft habe. Auch dort fanden mich die Leute komisch.

Zeitgleich habe ich zuhause nur Terror erlebt. Die folgenden drei Sätze bitte kürzen: [...]

Heutzutage ist die Beziehung zu meinen Eltern besser, aber die Narben sitzen noch tief. Ich schaffe es trotz Therapie nicht, mich von diesen Ereignissen zu emanzipieren. Vielleicht, weil ich nie eine gesunde Baseline hatte, zu der ich zurückkehren kann. Manche Leute kommen aus solchen Erfahrungen mit einer Lernerfahrung und einem dickeren Fell raus. Bei mir gabs statt einer Habituierung eine fucking Sensibilisierung. Im Bezug auf alles. Dafür hasse ich mich. Warum bin ich so eine Pussy? Ich kann nicht zwischen dem, was andere zu mir sagen und meinen eigenen Gedanken unterscheiden. Was andere über mich sagen, sauge ich unbewusst auf und glaube daran. Da ist kein Filter.

Mir wurde von einer Psychiaterin Sertralin verschrieben. Einmal habe ich aus Versehen eine genommen, hatte dann aber extremen Durchfall, Schlafstörungen und vor allem Angst, das Post-SSRI-Syndrom zu kriegen. Psychisch hat es mir aber geholfen, mich wacher, konzentrierter und etwas ausgeglichener zu fühlen. Würdet ihr einem Patienten, der euch all das schildert, was ich bis jetzt geschrieben habe, zur Einnahme von Sertralin raten? Habt ihr Ideen, wie ich mir helfen kann?
Vielen Dank im Vorhinein für eure Antwort!

Unsere Antwort

So wie du schreibst, steckt für mich der Terror von damals noch in deinen Gliedern. Sicherlich ist eine traumatherapeutische Aufarbeitung deiner Kindheit sinnvoll. Das Ziel ist tatsächlich die Emanzipation. Habituierung ist eine gute, aber auch eine heikle Sache. Ich glaube, du hast dich als Kind an ganz vieles ganz Schreckliches gewöhnt. Und vielleicht auch an Dinge, die schlimmer waren als die Schläge und die rohe Gewalt. An subtileren Beziehungsterror, der geprägt hat, wie du mit dir und anderen Menschen umgehst. Das Schlimme wurde für dich normal.

Ich möchte dir ein Buch empfehlen, das ziemlich harte Kost ist: "Brain Talk", von David Schnarch. Das ist ein Buch, das dich zwingt, noch genauer hinzuschauen. Bei den Menschen, mit denen du zu tun hattest und zu tun hast, und bei dir selbst. Ziel ist, dass du erst mal so etwas wie ein Mitgefühl aufbaust mit dem Jungen, der du warst, und für sein unglaubliches Leid und den unglaublichen Terror, den er durchgestanden hat. Dieses Mitgefühl wird dir helfen, besser für dich selbst zu sorgen und klarer und selbstbewusster gegenüber deinen Eltern und anderen Menschen aufzutreten. Ehrlich, statt manipulierend.

Wir schreiben derzeit Texte, die genauer auf diese Themen eingehen. Das passiert im Rahmen unseres Projekts "Gewalt in der Familie". Du wirst sie in ein paar Monaten lesen können. Du kannst uns selbstverständlich auch wieder schreiben. Gib dann bitte die Nummer dieser Frage an.

Zum Sertralin: Wir geben so aus der Ferne keine Empfehlungen für Psychopharmaka an. Aber wir stehen sehr kritisch zur Diagnose Post-SSRI-Syndrom. Gib dazu im Suchfenster bitte 30323 ein. Du findest da eine ausführliche Antwort auf eine Frage zu diesem Thema.

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