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Frage Nr. 34841 von 02.04.2022

Hallo,
ich bin 46 Jahre alt und habe eine Frage zu einem Problem mit meinem Freund, mit dem ich jetzt schon fast 3 Jahre zusammen bin.

Am Anfang unserer Beziehung hatten wir recht vergnügliche und manchmal auch wirklich lustige Zeiten miteinander im Bett und ich habe mich sehr entspannt und gut aufgehoben und sicher bei ihm gefühlt.

Da ich sehr spät im Leben erst meinen ersten Geschlechtsverkehr gehabt habe, bin ich mit ihm nie gekommen, aber das hat mich weiter nicht gestört. Ich dachte, mit Geduld würde das schon kommen.

Irgendwann habe ich ihm das anvertraut - damit er nicht denkt, ich spiele ihm was vor. Darauf kam die Antwort 'Spiel an dir selber rum, dann wird' s auch was. ' Seitdem reden wir über das Thema nicht mehr. Ich habe ihm auch irgendwann erzählt, was mir gefällt und wie er mich mehr erregen kann. Antwort war, er hat keine Lust auf jedes Mal bei Adam und Eva anfangen und reden beim Sex kann er auch nicht leiden und er hat nur Lust, wenn er wirklich entspannt ist - in der Nacht, nach den ersten Stunden Schlaf.

Seitdem schläft er nur noch mitten in der Nacht mit mir, wahrscheinlich, wenn er schon erregt aufwacht. Es gibt nur selten ein Vorspiel, das ist ihm wohl zu anstrengend. Irgendwann wollte ich ihm zeigen, wie er mich anfassen soll, damit es mir nicht unangenehm wird, da hat er mich weggeschubst und gesagt, ich soll's mir halt selber machen. Ganz oft haben wir dann GV wenn ich noch nicht bereit bin, manchmal auch, wenn ich noch nicht mal ganz wach bin.

Der Sex zwischen uns ist also nicht mehr besonders liebevoll. Ansprechen kann ich das Thema nicht, denn das macht ihn aggressiv. Er findet sich an der Situation unbeteiligt und meint, ich sei für meine Gefühle und für mein Empfinden beim Sex selber verantwortlich. - Gibt es eine andere Möglichkeit, das Problem anzugehen? Soll ich mich trennen?

Unsere Antwort

Selbstverantwortung ist tatsächlich das zentrale Thema in deinem Anliegen. Aber so, wie dein Freund das dir mitteilt, verdreht er das. Ja, du bist für deine Gefühle und dein Empfinden beim Sex selbst verantwortlich – du musst für dich sorgen. Aber er ist dafür verantwortlich, wie er mit dir umgeht, und ob er auf deine Wünsche und Bedürfnisse eingeht.

Du wiederum bist dafür verantwortlich, wie du damit umgehst, wie er mit dir umgeht. Du teilst ihm ja schon einiges mit, und das ist gut so. Du scheinst dich von ihm allerdings schnell entmutigen zu lassen. Du schreibst: "Ansprechen kann ich das Thema nicht, denn das macht ihn aggressiv." So kommst du nicht weiter. Nur weil ein Mann aggressiv wird, heisst das noch lange nicht, dass du schweigen musst. Eine gute Idee ist, dass du dich selbst besser regulierst in solchen Augenblicken. Das heisst, cool bleiben und sich nicht aus dem Konzept bringen lassen. Ruhig atmen und in leichter Bewegung bleiben, um aus der angespannten Stresshaltung herauszukommen.

Und dann: Schau mal, ob du mit Interesse in seinen Kopf hineinschauen kannst. Überleg dir mal: Warum wird er aggressiv? Ich könnte mir vorstellen, dass er sich verletzt fühlt in seinem (wohl ziemlich wackligen) Selbstbild, ein toller Mann und ein guter Lover zu sein (der eine Frau zum Orgasmus bringt…). Drum rechtfertigt er sich und greift dich an, statt Verantwortung dafür zu übernehmen, wie er sich dir gegenüber benimmt und wie er den gemeinsamen Sex gestaltet. Er merkt sicher, dass da etwas nicht stimmt, und dadurch lässt er sich verunsichern. Er ist (noch) nicht bereit, sich kritisch mit sich selbst und seiner Haltung dir gegenüber auseinanderzusetzen.

Klar ist auch, dass euer Sex für ihn stressig ist. Es klingt so, als habe er keinen Sex mit dir als Person, sondern er benutzt dich im Halbschlaf als Sexobjekt. Wenn er einen klaren Kopf hätte und genau bei dir hinschauen würde, würde er sich dabei viel zu sehr stressen. Überleg dir, warum du da mitmachst. Ein hilfreicher Spruch lautet: "Es gibt keine Opfer, nur Freiwillige". Was ziehst du daraus, wenn du beim Sex mitmachst, obwohl du noch nicht bereit bist? Was willst du damit bewirken (oder vermeiden)? Übernimm Verantwortung für dein Verhalten. Und für deine Haltung gegenüber ihm: Wenn du im Halbschlaf mit ihm Sex hast, hast du wirklich mit der Person Sex? Oder brauchst du ihn dann auch für irgend etwas? Für was?

Eine Möglichkeit ist jetzt gleich die Trennung. Aber möglicherweise blüht dir mit einem anderen Mann was ähnliches. Lies bitte unsere Tipps zur Entscheidung zur Trennung.

Eine andere Möglichkeit ist, dass du diese Beziehung als Übungsfeld nimmst. Egal wie der Ausgang ist, du lernst dazu. Ein Tipp ist, dass du deinem Partner mit gutem Beispiel voran gehst. Wenn du deinen Partner zu mehr Selbstverantwortung einladen möchtest, zeigst du ihm, dass du selbst Verantwortung für dich übernimmst. Konkret heisst das:

  • Du sagst ihm, dass er recht damit hat, dass du selbst zuständig für deine Gefühle und dein Empfinden beim Sex bist.
  • Du sagst ihm, dass du verstehst, dass der Sex jetzt für ihn stressig ist, weil du so unzufrieden bist.
  • Du sagst ihm, dass du dich ans Üben machst, wie du dich beim Geschlechtsverkehr besser erregen kannst.
  • Du machst dich ans Üben (zum Beispiel mit diesen Tipps, oder mit diesem Buch).
  • Du machst grundsätzlich nicht mehr bei sexuellen Handlungen mit, für die du nicht bereit bist.
  • Du übst, dich emotional zu regulieren, wenn es bei euch hart auf hart kommt.
  • Du sagst ihm dass du ein Vorspiel brauchst, und dass du erst dann lustvollen Sex haben kannst, wenn du bereit bist.
  • Du fragst ihn, was du tun kannst, dass die Stimmung auch am Tag für ihn entspannt genug für Sex ist.
  • Du sagst ihm, du würdest gern mit ihm erforschen und lernen, was du schön findest.
  • Du gewöhnst dir eine positive Sprache an, wenn du mit ihm über Sex redest.
  • Du bist offen für das, was er mit dir tut. Du übst, dich beim Sex zu bewegen und dir deine Steicheleinheiten so zu holen -- egal welche Stimulation er dir anbietet.

Wenn du diese Tipps anschaust, dann merkst du, dass du deinem Freund in einigen Dingen entgegenkommst. Wenn du mit ihm eine Lösung des Problems erarbeiten möchtest, brauchst du die Haltung: "Ich schaue, wo das Problem bei mir liegt, und ich arbeite daran". Du tust das unabhängig davon, worin sein Teil liegt: Du bist hundertprozentig für dich verantwortlich und dafür, wie du ihn siehst und mit ihm umgehst.

Falls du gern liest, empfehle ich dir sehr das Buch "Konflikte im Kern gelassen lösen: Die Anatomie des Friedens" vom Arbinger Institute. Darin gibts wertvolle Tipps rund um das Übernehmen von Eigenverantwortung und das Lösen von Konflikten. Mehr Tipps zum Umgang mit Konflikten findest du auch in diesem Text.

Falls du dich da wirklich ins Zeug legst und investierst, und du stösst bei deinem Freund trotzdem auf Granit, ist eine Trennung eine eigenständige, eigenverantwortliche Folge. Du hast dann aber garantiert hilfreiche Werkzeuge für eine nächste Beziehung entwickelt.

Ich hoffe, diese Antwort regt dich an, die Situation auf neue Weise anzugehen. Gern kannst du uns wieder schreiben. Gib dann einfach diese Fragenummer an.

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