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Frage Nr. 35448 von 13.07.2022

Hallo Lilli,
ich bins nochmal, die Fragestellering zur "Korrespondenz" mit Ihnen und einer Mitleserin (35348,35400,35255,35268,35338)

Die Texte haben bei mir viel Nachdenken angeregt und ich bedanke mich sehr dafür. Ich sehe nun einiges aus einem anderen Blickwinkel.

Gerade das Thema "Spezialbehandlung", das die Mitleserin ansprach, hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich fühle mich tatsächlich "Defekt" und "nicht so wie andere" durch die krankheitsbedingten Einschränkungen, dass ich mir nicht gönnen kann, eine Spezialbehandlung einzufordern bzw. das was ich brauche zu normalisieren. Ich sehe es zu sehr als Spezialbehandlung als als eine normale sexuelle Vorliebe.

Was das Thema der Ex angeht, so ist das immer die Erklärung in den Gesprächen. Er erzählt das nicht proaktiv. Deshalb bleibt leider so viel Raum zum interpretieren. Selbst wenn ich ihn frage, wie das für ihn ist, kommt wieder nur die Geschichte. Die Antwort ist immer, damals war das so schlimm, deshalb hab ich Angst dass es so lang gehen könnte, aber 5-10 Min seien schon okay.
Ich habe versucht meine Interpretationen zu verifizieren/falsifizieren (im Gespräch), werde aber immer nur mit dieser Vergangenheitsgeschichte "abgefertigt", selbst wenn wir uns drumrum konstruktiv unterhalten wie ein Vorspiel aussehen könnte.

Die Frage war auch, warum er so lange Geduld für nur Petting hatte, und jetzt nicht mehr. Warum er nur beim Petting nicht übergeil wurde, aber jetzt schon. Die Antwort ist: Als er wusste, es geht halt nicht mit dem aufnehmenden Sex, war einfach nicht so viel Erregung da. Ich habe es auch noch nie geschafft, ihn oral oder mit der Hand zum Höhepunkt zu bringen. Auch in mir kommt er meistens gar nicht. Ich habe natürlich gefragt, was er möchte, habe mich im Internet mit Tipps und Tricks belesen. Aber ich scheine es nicht zu schaffen. Ich schlug ihm eure Seite vor, da ich denke, er befriedigt sich mit zu viel Druck selbst. Aber da ist er bisher zögerlich zu glauben, dass es daran liegen könnte weil es ja früher immer klappte.
Deshalb die Übergeilheit- fast nie ein Orgasmus, der das mal runterbringt. Und wenn dann ist der nur beim aufnehmend/penetrativen Sex.

Was Erregung angeht, so hat er kein Problem. Eher habe ich durch die Schmerzvergangenheit eines und weil ich noch nicht geheilt bin. Ich kann selber auch nur selten ein bisschen "kommen", ich glaube es ist kein richtiger Orgasmus. Er nicht, so gut wie gar nicht.

Super interessant ist die Frage, was es mir bringt mich aufzuopfern/ bzw. was ich vermeide. Die Gegenüberstellung vom Bedürfnis Beziehungssicherheit und Autonomie etc. - Da schließt sich der Kreis- ich fühle mich durch die Krankheit defekt, nicht als richtige Frau, und will es irgendwie wieder gut machen. Und natürlich habe ich Angst, gegen eine potenzielle gesunde Rivalin im Fall des Falles nicht bestehen zu können.
So klar habe ich mir das selbst noch nie eingestanden.

Ihr habt gefragt, ob ich Sexualtherapie mache. Nein, nur Psychotherapie und Physiotherapie speziell für den Beckenboden. Ich habe deshalb mein Geschlecht schon sehr oft "in die Hand genommen", bzw. erforscht. Ich habe fast ein Jahr mit Dilatatoren etc. üben müssen (angeleitet von der Physio), bis das Aufnehmen möglich war. Davor musste ich fast ein Jahr nur die Berührungen üben, bis diese vom Schmerzgedächtnis gelöscht waren und wieder neutral und sogar schön wurden. Ich habe das Gefühl, ich kenne meine Vagina inzwischen besser als mein Gesicht, das ich jeden Tag im Spiegel sehe.

Zum letzten Tipp- mich allein auf den Sex vorbereiten. Das nehme ich mir immer vor, aber meist ist der Sex dann so spontan dass keine Zeit ist.... Ich glaube, nach der Lektüre all dieser Anregungen (die ich mir in Stichpunkten notiert habe, danke!) muss ich wirklich daran arbeiten, klarer zu werden was ich brauche und dies ohne schlechtes Gewissen auch einfordern. Ich gebe schließlich umgekehrt genug und ich denke auch, dass dem Mann es gefallen würden, wenn ich wieder selbstsicherer wäre.
Ich weiß nur noch nicht, wo ich diese Selbstsicherheit hernehmen soll nach der Geschichte mit der Erkrankung...

Viele Grüße und Vielen Dank!

Unsere Antwort

Ich mache mir Gedanken rund um das Thema sexuelle Erregung. Auch wenn dein Freund "übergeil" ist, er kann das kontrollieren. Er ist ja kein zweijähriges Kind. Lass dich nicht dadurch beirren, dass er grosse Lust auf Sex mit dir hat. Wenn er keine Ejakulation mit dir hat, kann er trotzdem bei der Selbstbefriedigung eine haben. Es gibt also kein physiologischen Grund, warum er jetzt dringend mit dir einen Orgasmus bräuchte.

Klar ist, dass dein Freund sexuell selbst noch viel dazu lernen könnte. Ich vermute, du hast recht, dass er sich mit sehr viel Druck erregt. Und mit hoher Muskelspannung. Da ist gut möglich, dass er sich weniger gut spürt und das Gefühl hat, seine Erregung nicht so gut steuern zu können. Dazu passt auch, dass du nicht den richtigen Handgriff hinkriegst und die Vagina nicht genug Druck für ihn ausübt. Und dazu passt auch, dass das längere Vorspiel ihn stresst: Ich denke, seine sexuelle Erregung steht auf wackligen Beinen.

Sein Argument, dass es früher besser klappte, überzeugt nicht. Bei vielen Menschen hat es früher besser geklappt. Wenn wir uns beim Sex auf irgend eine Technik einschiessen, können wir irgendwann in einer Sackgasse landen. Man kann beim Sex so lernen, dass die Palette der Möglichkeiten immer breiter wird, und man kann so lernen, dass sie immer enger wird. Vielleicht interessiert dich unser Text über das sexuelle Lernen. Ich empfehle deinem Freund das Buch "Klappt's?" von Michael Sztenc.

Und noch ein Gedanke zum Thema Krankheit und Selbstsicherheit. Ich bin sehr vorsichtig mit dem Krankehitsbegriff. Dein Körper hat auf eine logische Weise auf irgend einen Stressor – oder mehrere Stressoren – reagiert. Warum solltest du deshalb weniger Selbstsicherheit haben? Zumal es dir offenbar schon recht gut gelungen ist, aus diesem Teufelskreis von Schmerz und Anspannung und unangenehmen Gefühlen herauszukommen. Dafür könntest du dir gehörig auf die Schultern klopfen. Kennst du dazu übrigens das Buch "Kopfschmerzen im Becken" von David Wise und Rodney Anderson? Es erlaubt einen völlig neuen – und aus meiner Sicht sehr hilfreichen – Blick auf Beschwerden wie diejenigen, die du durchgemacht hast.

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