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Frage Nr. 37218 von 10.07.2023

Liebes Lilli-Team
Ganz herzlichen Dank für eure Antwort zu meiner Frage Nr. 35980, die mich sehr über die Zeit gestützt hat. Ich konnte all die Zeit keine Träne verdrücken bzw. trauern. Da ist gefühlt „nichts“.
Jedoch gehe ich mit „Krücken“ von Anorexie mit schweren bulimischen Zügen und Suizidalität durch’s Leben. Diese Krücken sind längst überholt und ich kann nicht mehr länger mit diesen leben - sie bringen mich jeweils fast um. Dass ich lebe, grenzt an ein Wunder (…), wenn auch nun als Folge mein Körper Schaden genommen hat, denn durch die Essstörung erlitt ich Herzstillstände, die Knochen von Kiefer/Hüfte brachen aus dem Nichts heraus und die letzte „Krücke“ namens Sport wurde mir genommen. Ich möchte mit aller Kraft, die ich noch besitze, diese „Krücken“ loslassen, doch dies habe ich alleine zu schaffen - ein letzter Versuch. Klinik (auch auf mein Störungsbild spezialisiert) oder ein Therapeut/tin* kommen nicht in Frage, denn diese Verantwortung wird nicht getragen und ist unzumutbar. Auch körperlich wird in dem BMI Bereich nicht mehr mit einem gearbeitet. Es liegt an mir. Diese „Krücken“ bringen mich um und ich möchte nichts anderes als „Leben“ - jedoch ohne diese „Krücken“, doch es gelingt mir nicht und langsam merke ich, dass ich so nicht mehr lange habe. Wie schafft man das diese irren Ängste/Spannungen o.Ä. auszuhalten? Sich Gefühlen stellen, wenn keine da sind oder gespürt werden? Ich habe kein Plan und halte nichts aus. Davon bin ich so lebensmüde, ausgebrannt und hoffnungslos und versuchte deshalb bei Exit und Psychiatern ein Gutachten bzw. den Freitod zu erwirken - erfolglos. Für mich ist es höchste Eisenbahn eine Lösung zu finden diese „Krücken“ loszulassen, versage jedoch bei jedem Versuch. Ich frage mich auch oft, wie man so unfähig wie ich sein kann nicht einfach „auszuhalten“, ich wäre ja nun frei in der Lebensgestaltung, möchte mich aber dennoch jeweils stündlich „vernichten“ und gehe teilweise zur Handlung über. Ich wäre um jede noch so kleinen „Wegweiser“ dankbar (w, 35 J.). Danke

Unsere Antwort

Du beschreibst uns deine tragische Lebenssituation. Ich möchte dir zunächst mal unsere Wertschätzung für deinen Mut und deine wiederkehrende Kraft ausdrücken. Deine Leistung ist enorm. Froh sind wir natürlich, das du unsere Antwort als Stütze wahrnehmen konntest.

Deine Gefühle geben dir an, was dir gut tut und was nicht. Das ist wichtig. Auch wenn du betonst, dass du nicht trauern kannst. Möglicherweise kannst du nicht weinen. Das ist zum Trauern auch nicht unbedingt nötig. Deine Traurigkeit steht auch ohne Tränen in deinem Text.

Du fragst: "Wie schafft man das diese irren Ängste/Spannungen o.Ä. auszuhalten?" Ich glaube da hast du gerade schon gute Schutzmechanismen. Du kannst zur Zeit diese extremen Gefühle aushalten, weil du sie nicht in vollem Umfang spürst. "Sich Gefühlen stellen, wenn keine da sind oder gespürt werden?" Dich diesen Gefühlen zu stellen, passiert im besten Fall mit ganz viel Selbstwertschätzung und Güte, sodass du so langsam machst, wie du es brauchst und gut für dich sorgst. Du kannst dich Schritt für Schritt bereit machen, deine Gefühle zuzulassen zum Beispiel indem du mit weniger großen Gefühlen übst.

Kannst du dir vorstellen, dich auf einen Entdeckungsweg zu machen? Ziel wäre, deine Fähigkeiten zu entdecken und Wertschätzung zu üben. Ich komme auf diese Idee, weil dein Text sehr zeigt, dass du deine Erwartungen nicht erfüllst.

Deine Erwartungen scheinen also nicht zu dir und deinem Leben zu passen. Wahrscheinlich wurden sie dir von anderen in deinen Lebensrucksack gesteckt und fühlen sich trotzdem wie Teile von dir selbst an. Solche Fremderwartungen fühlen sich zwar wie ein Teil von dir, aber immer wie fremd an. Du merkst, dass du sie nie erfüllen kannst. Du traust dich aber nicht, die Erwartungen aus deinem Leben zu verabschieden. Du versuchst vielmehr um jeden Preis, diese nicht passenden Erwartungen zu erfüllen. Ohne Erfolg - aber mit Vernichtungsgefühlen.

Du wärst «ja nun frei in der Lebensgestaltung», schreibst du. Das warst du wohl nicht immer. Vielleicht kannst du verstehen, dass die erlebte Unfreiheit auch wie eine Bindung wirkt. Wenn die Bindung weg ist, fühlst du dich nicht sofort einfach glücklich. Es kann sich leer anfühlen und gefährlich. Die Freiheit musst du erst lernen. Selbstbestimmte Lebensgestaltung kann ein schwieriger und steiniger Weg sein, wenn du viele fremde Erwartungen im Gepäck hast. Es ist zunächst nicht einfach zu unterscheiden zwischen eigenen Wünschen und denen anderer.

Du sagst zwar, dass du als Wegweiser keine Psychotherapien akzeptierst. Ich würde dir raten, nochmals darüber nachzudenken. Möglicherweise musst du länger nach einer geeigneten Psychotherapieform suchen. Du kennst dich wahrscheinlich gut in der Szene aus. Psychiatrie-Spitex könnte vielleicht auch eine Hilfe sein. Oder Begleiter*innen, die andere Therapieformen anbieten: Körpertherapie, Kunsttherapie, Musiktherapie oder körpernahe Therapieformen wie Cranio-Sacral-Therapie, Feldenkrais, Polarity, Somatic Experiencing und so weiter.

Alles, was deinem Körper angenehm ist, könnte auch auf deine Stimmung wirken. Zusätzlich wäre eine Begleitung gut, die dich immer wieder auf den Weg der Selbstwertschätzung hinweist.

Deine Leistung ist sehr hoch. Dein Gewinn durch (Selbst-)Wertschätzung noch nicht hoch genug. Ich wünsche dir einen Abschied von einigen Erwartungen. Vielleicht musst du dann gar nicht mehr so viel leisten, bis du mit dir zufrieden bist.

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