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Frage Nr. 36932 von 18.05.2023

Hallo liebes Lilli-Team,

ich hatte hier schon vor Jahren zu allerlei Themen Informationen eingeholt und gelegentlich Fragen gestellt, mittlerweile bin ich 21 Jahre alt (männlich) und möchte mich für euer Engagement zutiefst bedanken.
Solch eine seriöse, informative und aufklärende Plattform in der heutigen Zeit zu haben ist absolut wichtig und gewissermaßen nötig.
Vielen Dank!

Ich versuche mit einem kurzen Abriss meines Lebens euch mein Problem zu erläutern.
(...)

Nun bin ich an dem Punkt, einen kompletten Neustart zu wagen. Ich habe eine eigene Wohnung, arbeite in meinem Traumberuf, akzeptiere mich und meine Vergangenheit, aber schaffe nicht den Sprung aus der Einsamkeit.

Ich habe noch immer diese Angst abgestoßen und/oder nicht akzeptiert zu werden oder negativer Kritik ausgesetzt zu sein. Ich sehne mich mittlerweile nach einem wohltuenden sozialen Umfeld, aber weiß nicht, ob ich für dieses bereit bin und wie ich mir solch ein Umfeld aufbauen kann.

Auf fachlicher Ebene habe ich kein Problem auf Kollegen zuzugehen, aber sobald es persönliche Gründe/Absichten hat, kommen die Ängste.

Habe ich aber eine Person kennengelernt, sind die Ängste komplett verschwunden, nur dieser Kennenlernprozess bzw. das Aufeinandertreffen bereitet mir solch eine Angst.

Bis jetzt habe ich aber nur Personen kennengelernt, wo es einfach nicht gepasst hat (meistens viel ältere Menschen), weshalb ich weiterhin einsam mein Leben bestreite.

Ich hatte euch bereits mal mein Problem geschildert, damals habt ihr mir geraten, einen Psychotherapeuten aufzusuchen, mittlerweile wäre ich mental soweit, kann mir jedoch aus beruflichen Gründen solch eine Behandlung nicht erlauben.

Nun zu meiner eigentlichen Frage:
Wie und wo schaffe ich es, mit anderen in Kontakt zu treten?
Ich bin neu in meinem Beruf und denke, dass ich über die Kollegen am einfachsten Kontakte knüpfen kann, möchte berufliches und privates aber nicht unbedingt mischen, da die Arbeit mir zu viel bedeutet.
Hobbys verfolge ich keine.
Und fremde Menschen (vor allem Frauen) in der Öffentlichkeit anzusprechen, empfinde ich als sehr belästigend und unangenehm.

Ich denke, mit der Zeit wird sich meine Angst auflösen, zumindest nachdem ich selber merke, dass ich nicht abgestoßen und akzeptiert werde, aber wie überwinde ich diese Angst, um diesen Schritt zu gehen?

Ich hoffe, ihr könnt mir irgendwelche Tipps, Verhaltensmuster und -regeln nennen, aber am Ende wird es bestimmt darauf hinauslaufen, dass ich einfach in das kalte Wasser springen muss...


Liebe Grüße und vielen Dank für eure gesamte Arbeit!

Unsere Antwort

Vielen Dank für dein Lob! 

Zunächst einmal finde ich es sehr beeindruckend, was du schon alles geschafft hast. Du bist offenbar ein Mensch mit vielen Ressourcen und Stärken.

Ich denke nach wie vor, dass psychologische Unterstützung sinnvoll wäre. Ich weiß, dass es leider immer noch Berufe gibt, in denen man vorsichtig sein muss, was Psychotherapie angeht. Ich weiß aber auch, dass das in vielen Unternehmen mittlerweile nicht mehr so ist. Sprich doch mal mit einer Vertrauensperson in deinem Unternehmen oder mit einer Gewerkschaft darüber. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass du die Therapie selbst zahlst, falls du das kannst. Dann erfährt deine Krankenversicherung nichts davon und auch dein Arbeitgeber nicht.

Nun zu deiner Frage, wie du Kontakt zu anderen aufbauen kannst. Die Angst, die du beschreibst, ist eine normale Reaktion auf eine sehr stressige und unsichere Kindheit. Und du weißt eigentlich schon, dass am Ende nur das Tun wirklich gegen die Angst hilft. Solange du vermeidest, fütterst du die Angst. Um stattdessen deinen Mut und dein Selbstbewusstsein zu füttern, musst du dich ausprobieren und Erfahrungen machen. Das heißt aber nicht, dass du alles auf einmal machen musst. Nimm dir kleine Schritte vor. Ich denke, zum Beispiel, deine Kolleg*innen sind ein guter Ausgangspunkt zum Üben. Sie müssen nicht deine engsten Freunde werden, aber du kannst mit ihnen üben, dich zu öffnen. Sprich doch mit denen, die dir sympathisch sind, mal über etwas Privates. Es muss ja nichts Großes sein. Beobachte, was dann bei dir passiert, welche Gefühle und Gedanken das auslöst, und auch, wie das deine Beziehung zu diesen Menschen verändert.

Du schreibst, du hast zurzeit keine Hobbys. Dann wäre es sicher sinnvoll, dir welche zu suchen. Über gemeinsame Aktivitäten kommt man meist viel leichter in Kontakt. Und Hobbys können alles Mögliche sein: Sport, Kunst, Politik, Wissenschaft, Natur, Spiele, Ehrenamt, usw. Die Möglichkeiten sind wirklich endlos. Überleg einfach mal: Was macht mir Spaß? Was würde ich gern lernen? Wofür möchte ich mich einsetzen? Was interessiert mich? Sicher findest du so etliche Dinge, die du in ein Hobby verwandeln oder für die du eine Gruppe finden kannst.

Es gibt übrigens auch Apps, um neue Freunde zu finden. Sie funktionieren im Grunde wie Dating-Apps, aber eben ohne den romantischen/sexuellen Aspekt. Auch das könnte eine Option sein, um dich ohne allzu großes Risiko mal heranzutasten an neue Kontakte.

Sei darauf vorbereitet, dass deine Angst sich in diesen sozialen Situationen melden wird. Denn das ist ihr Job. Der Trick ist, nicht zu warten, bis die Angst weggeht, sondern sie mit auf die Reise zu nehmen. Wenn du Angst bekommst, dann nimm sie erstmal interessiert wahr. Sag dir: „Ah, das ist wieder meine Angst, abgelehnt zu werden. Das ist okay. Meine Angst will mich nur beschützen und dafür bin ich ihr dankbar. Ich weiß aber, dass es mir sehr wichtig ist, soziale Kontakte zu knüpfen und aus der Einsamkeit rauszukommen.“ Am besten atmest du dann noch ein paar Mal tief ein und aus. Du versuchst also nicht, deine Angst zu unterdrücken, sondern du dankst ihr für den Hinweis, ohne dich aber hineinzusteigern. Du erinnerst dich an das, was du weisst – zum Beispiel daran, dass deine Angst aus der Vergangenheit kommt und deshalb Situationen in der Gegenwart manchmal bedrohlicher einschätzt, als sie sind. Erinnere dich an deine Werte und Ziele. Und gleichzeitig signalisierst du deinem Körper durch tiefes Atmen, dass deine Angst sich beruhigen darf.

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