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Wie gewinne ich meinen Körper und meine Sexualität zurück?

Du kannst deinen Körper und dein sexuelles Wesen neu entdecken nach einer Krebserkrankung oder einer anderen schwierigen Erkrankung, Operation oder Behandlung.

Wieso spüre ich so wenig?

Möglicherweise hattest du starke Schmerzen – durch die Erkrankung, durch Operationen und Chemotherapien oder andere Behandlungen. Dein Körper hat diese Schmerzen ausgehalten. Der Körper hilft dir da, in dem er nicht mehr so viel spürt. Dadurch wirst du nicht überwältigt. Du hältst viel mehr aus. Stell dir das wie eine Rüstung vor.

Die Rüstung schützt vor unangenehmen Berührungen. Aber natürlich spürst du in einer Rüstung auch angenehme Berührungen nicht mehr so. In Fachsprache nennt man das Dissoziation. Das passiert übrigens nicht nur bei Schmerzen, sondern auch bei schlimmen Gefühlen, wenn du einen Unfall hattest oder Gewalt erlebt hast.

Ist denn überhaupt noch was da?

Viele Leute denken, sie spüren nichts. "Da ist nichts". Wenn wir in einer Beratung genauer fragen, kommt meist doch erstaunlich viel. Vielleicht spürst du immer noch Schmerz. Oder du spürst, wie warm es ist. Du spürst, ob du berührt wirst. Du spürst Wind auf deiner Haut.

Kleine Bilder verschiedener Dinge, die man spüren kann: - Schmerz - wie warm es ist - den Wind auf deiner Haut - ob du berührt wirst

Du spürst also immer noch einiges. Wie fühlt sich „nichts spüren“ bei dir an? Was spürst du, wenn du deinen Arm klopfst oder reibst?

Was, wenn ich meinen Körper nicht mehr mag?

Vielleicht bist du verunsichert, vielleicht erlebst du Scham, vielleicht ist dir dein Körper fremd, vielleicht magst du ihn nicht mehr. All das darf sein – dein Körper hat einiges mitgemacht. Vielleicht hattest du eine Operation, und du hast nicht so viel gespürt wegen der Narkose. Aber dein Körper hat das trotzdem erlebt. Je nach Behandlung ist er womöglich ziemlich an seine Grenzen gegangen. Damit verdient er eigentlich deinen Respekt.

Vielleicht kann es dir sogar guttun, diese unglaubliche Fähigkeit, wieder ins Leben zurückzufinden, zu bestaunen und stolz darauf sein zu dürfen. Dein Körper hat dich trotz der grossen Belastung nicht im Stich gelassen!

Wann wird das wieder normal?

Es kann nach einer Behandlung eine ganze Weile dauern, bis sich dein System wieder normalisiert. Es ist gut möglich, dass dein Körper nicht mehr der gleiche ist wie vorher. Da muss sich alles erst wieder finden. Stell dir das vor wie ein Schlachtfeld nach einem gewonnenen Kampf. Da braucht alles Zeit für die Heilung und den Wiederaufbau.

Dir wird nach und nach bewusst, was die überstandene Erkrankung oder die Behandlung für Spuren an Deinem Körper hinterlassen hat. Zunächst gibt es da womöglich einiges zu betrauern, was nicht mehr ist, wie es war. Lass diese Trauer zu. Auch andere Gefühle wie Schmerz und Scham können spürbar werden. Diese Gefühle helfen dir, Abschied zu nehmen. Und nach dem Abschied, wird es einfacher, für neues offen zu sein.

Das Geheimnis lautet: Lerne akzeptieren, was ist. Erst wenn du akzeptierst, kannst du in deinen Körper zurückfinden und etwas neues aufbauen. Das ist möglicherweise schöner als vorher.

Was, wenn mir das Akzeptieren schwer fällt?

Es fällt uns allen schwer, Dinge loszulassen, die mal waren, und Dinge zu akzeptieren, die nicht schön sind. Und trotzdem ist das unglaublich wichtig. Die bekannte Psychotherapeutin Marsha Linehan spricht von "radikaler Akzeptanz". Sie sagt, dass man das, was ist, nicht mögen muss. Aber man muss es akzeptieren. Denn erst wenn man das, was ist, akzeptiert, kann man daran arbeiten, weiter zu kommen. Sie arbeitet viel mit Achtsamkeits-Meditation.

Achtsamkeit heisst, dass du aufmerksam das erlebst, was ist, ohne es zu bewerten. Das ist enorm hilfreich, wenn du Probleme mit Schmerzen und deiner Lebenssituation hast. Der Arzt Jon Kabat Zinn hat dazu ein sehr erfolgreiches Programm entwickelt, das heisst MBSR (Mindfulness based stress reduction – zu deutsch achtsamkeitsbasierte Stressreduktion). Wenn du die Begriffe Achtsamkeitsmeditation oder MBSR googlest, kriegst die viele Infos und Links zu Anleitungen. Du findest auch Apps dazu. Es lohnt sich, das auszuprobieren!

Wie verbessere ich die Beziehung zu meinem Körper?

Wie denkst du über deinen Körper? Wie gehst du mit ihm um? Bewerten in Gut und Schlecht verschlechtert eure Beziehung, Spüren von Kribbeln, Spannen, Wärme, Kälte verbessert eure Beziehung. Es gibt viele Gelegenheiten, deinen gesamten Körper von Kopf bis Fuss zu spüren.

Kleine Bilder verschiedener Methoden, um den Körper zu spüren: - ein Schaumbad nehmen - den Körper eincremen - Yoga - Meditation - Sport - auf einer Wiese rollen

Das hilft dir, mehr auf das zu achten, was sich in und an deinem Körper neutral oder gut anfühlt. Das speichert dein Gehirn ab.

Jede Erfahrung, die neutral oder gut war, ist Futter für dein Gehirn. Jede noch so kleine Erfahrung zählt. Jede Erfahrung hilft dir dabei, dich in dir wieder zuhause zu fühlen.

Wie freunde ich mich mit Narben an?

Womöglich haben Operationen Narben hinterlassen. Vielleicht fühlen sie sich noch nicht wie ein Teil von dir an. Meist ist deine Körperoberfläche gleich neben der Narbe in den ersten Monaten taub – das klingt aber üblicherweise wieder ab. Wenn du die Narben regelmässig sanft berührst und eincremst, hilft dir das, diese Stellen deines Körpers besser zu spüren und dich mit ihnen anzufreunden. Du kannst auch Partner*innen bitten, ihre Hand sanft und freundlich auf die Narbe zu legen. So spürst du, dass du mit diesen Narben angenommen wirst.

Wie freunde ich mich mit meinen Brüsten an?

Wir schreiben gerade einen neuen Text zu diesem Thema. Stell uns solange gern deine Fragen im Fragefenster.

Warum sollte ich mich meinem Geschlecht zuwenden?

Dein Geschlecht gehört auch zu deinem Körper. Wenn du dein Geschlecht gut kennst und gut spürst und es als genussvoll empfindest, bist du darin «verankert». Du bewohnst es dann genauso gut wie den Rest deines Körpers und fühlst dich in deiner Haut sicherer. Nimm dir Zeit für das Erkunden deines Geschlechts und für die Selbstbefriedigung. Das ist besonders wichtig, wenn du eine Operation oder Behandlung hattest, die deine Geschlechtsorgane betrifft.

Wie spüre ich mehr?

Wann immer du die Möglichkeit hast, dein Geschlecht oder andere Stellen an deinem Körper kurz zu berühren, tu das, und achte darauf, was du dort spürst. Du kannst die Hand auflegen, dich mit Öl streicheln, dir beim Duschen eine Minute Zeit nehmen, deinen Körper und dein Geschlecht ganz langsam zu waschen. Sei mit der Aufmerksamkeit dabei. All das ist Wahrnehmungstraining.

Spüren braucht Wiederholung – wenn du zu Anfang anders spürst als du es gewohnt bist: Bleib dabei und gib Deinem Körper Zeit und Zuwendung, seine Feinfühligkeit wieder neu zu entwickeln. So lernst du, irgendwann besser zu unterscheiden: Wie fühlt sich eine trockene Berührung an? Wie eine nasse Berührung? Wie eine kalte? Eine warme? Und so weiter.

Wie lange dauert es, bis ich mehr spüre?

Wichtig ist die Geduld: Bessere Wahrnehmung im Körper lernst du nicht von einem Tag auf den anderen! Es ist von Mensch zu Mensch verschieden, wie lang das dauert, und ob das Tage dauert oder Wochen. Lass dich nicht beirren, wenn es sich taub anfühlt.

Gerade nach deiner Erkrankung und Operation oder Behandlung kann es dauern, angenehme und irgendwann dann auch wieder lustvolle Gefühle zu entwickeln. Wir haben Tipps, wie du lernen kannst, mehr in der Vagina zu spüren oder sie zu erregen. In diesem Text stehen weitere Facts und Tipps für Männer oder Menschen mit Penis.

Warum ist tief Atmen so wichtig?

Tiefe Atmung kann dir auch helfen, mehr zu spüren. Sie fördert die Durchblutung im Körper und beeinflusst das vegetative Nervensystem. Vielleicht hast du selber schonmal ausprobiert, wie tiefe Atmung zum Beispiel bei Meditation, bei Yoga oder vor einer Prüfung dich beruhigt hat. Wenn du ruhig bist, kannst du deine Wahrnehmung besser steuern und genussvoller ausrichten. Hier kannst du mehr dazu erfahren und hier kannst du lernen, tief zu atmen.

Warum ist Bewegung so wichtig?

Über mehr Bewegung kannst du auch mehr spüren. Bewegung fördert die Durchblutung, und wo mehr Blut fliesst, nimmt der Körper mehr wahr. Wenn du deinen Körper – und vor allem dein Becken – bewegst, erlebst du die sexuelle Erregung intensiver. Es reicht völlig aus, wenn diese Bewegungen winzig sind. Sie müssen von aussen noch nicht einmal sichtbar sein. Probier doch mal aus, wie klein du die Bewegungen machen kannst, die wir in diesen Videos und in diesem Text für Frauen und alle Menschen mit Vagina und diesem Text für Männer und alle Menschen mit Penis beschreiben.

Was, wenn es wehtut?

Wenn du mehr spürst, kann auch alter Schmerz hochkommen. Du legst die Rüstung ab, die dich vor der Erkrankung und der Behandlung geschützt hat. Jetzt lässt du Spüren wieder zu. Das bedeutet auch, Schmerz zuzulassen. Denn wenn du wieder spürst, spürst du auch das unangenehme.

Scheu dich nicht, dir Unterstützung zu holen. Psychoonkolog*innen sind die richtigen Ansprechpersonen. Es gibt auch ein hervorragendes Buch mit einem Selbsthilfeprogramm bei Schmerzen im Beckenbereich. Es ist von David Wise und Rodney Anderson und heisst «Kopfschmerzen im Becken». Wenn du gern liest, lohnt sich das Buch auf jeden Fall.

Was sind die häufigsten sexuellen Probleme bei/nach Krebs?

Eine Übersicht findest du in diesem Text.