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Muskeln sehr anspannen beim Sex: Vor- und Nachteile

Viele Menschen spannen ihren Körper beim Sex sehr an. Denn das ist sehr erregend. Es kann beim Sex aber auch zu Problemen führen – mit deinem Körper und mit deinen Gefühlen und Gedanken.

Sexuelle Erregung braucht Muskelspannung

Das Wichtigste zuerst: Sexuelle Erregung braucht ein gewisses Mass an Muskelspannung. Mit der sexuellen Erregung steigt die Spannung der Muskulatur im Po, Bauch und Becken an. Das geschieht ganz automatisch. Spannung bedeutet mehr Körperaktivität und Durchblutung – und sexuelle Erregung braucht das. Wenn du einfach nur entspannst, schläft deine sexuelle Erregung sozusagen ein und du erreichst keinen Orgasmus.

Muskeln im Becken sind erregbar

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Spannung erregend ist: Durch Muskelspannung und Druck werden innerhalb der Muskeln im Bereich Po und Becken Nervenendigungen gereizt, die sexuell erregbar sind. Nervenendigungen sind die Enden von Nerven, die hoch ins Gehirn laufen und dem Gehirn mitteilen, dass an ihrem anderen Ende etwas passiert.

Durch Muskelspannung schneller bis zum Höhepunkt

Viele Menschen spannen die Muskeln am Po, im Becken, an den Oberschenkel oder auch am ganzen Körper ziemlich stark an, um sich zu erregen. Die einen reiben ihr Geschlecht dabei, andere drücken es oder pressen es gegen etwas, wieder andere verwenden einen Vibrator. Dadurch können sie schnell einen Höhepunkt erreichen. Achte bei der nächsten Selbstbefriedigung doch mal genauer darauf, was deine Technik ist. Vielleicht bist du dabei eher auf deine Fantasien oder einen Porno konzentriert – und es fällt dir gar nicht auf, dass deine Muskeln viel mehr arbeiten, als du meinst.

Hohe Muskelspannung kann zu Problemen führen

Sex hat viele eigenartige Eigenschaften. Eine davon ist, dass ausgerechnet hohe Muskelspannung, die sexuell so erregend ist, auch recht häufig zu sexuellen Problemen führen kann. Wir schildern dir hier mögliche Probleme der sexuellen «Hochspannung». Schau mal, ob du ein paar davon kennst.

Weniger Genuss

Hohe Muskelspannung ist zwar unglaublich erregend, aber sie ist wenig genussvoll. Wenn du deinen Körper mal eine Minute lang wirklich stark anspannst, wirst du selbst merken, dass das eigentlich nicht genussvoll ist. Es ist vor allem anstrengend. Feine, angenehme Wahrnehmungen werden durch die Anspannungen auch unterdrückt oder fühlen sich unangenehm an. Vielleicht erlebst du den Orgasmus auch nichtssagend und fragst dich, ob das überhaupt ein Orgasmus ist.

Mehr Anstrengung und Schmerzen

Vielleicht erlebst du sogar eher Unangenehmes: Ständig die Muskeln anspannen ist anstrengend. Viele atmen dabei sehr kurz oder halten den Atem zwischendurch auch an. Es kann sein, dass du den Sex wie einen Kraftakt erlebst. Du geniesst vor allem die Entladung und die Entspannung nach dem Orgasmus. Es kann aber auch sein, dass du während dem Sex oder nachher Schmerzen hast, weil Muskeln so stark belastet werden. Die Schmerzen können auch damit zusammenhängen, dass die Durchblutung in der hohen Anspannung nicht so gut ist.

Schmerzen in der Vagina

Es kann auch sein, dass die Muskeln im Bereich Beckens während der sexuellen Erregung so angespannt sind, dass das Geschlecht weniger stark durchblutet ist – der Muskeldruck ist einfach höher als der Blutdruck. Wenn die Vagina weniger gut durchblutet ist, wird sie weniger feucht. Denn die Feuchtigkeit ist nichts anderes als ein Schwitzen der Vaginalwände bei verstärkter Durchblutung. Die Vagina wird auch weniger weit – die Beckenbodenmuskeln drücken so fest, dass sie sich einfach nicht so gut erweitern kann. Die Enge und Trockenheit können Schmerzen auslösen, wenn ein Penis oder ein Dildo in die Vagina eingeführt wird.

Zu früh oder zu spät kommen

Vielleicht dauert es bei dir auch ewig, bis du einen Orgasmus hast – oder du kommst gar nicht. Auch das kann daran liegen, dass du weniger spürst, weil deine Muskeln so angespannt sind: Du nimmst nur das ganz Intensive war, nicht die feineren Berührungen und Unterschiede. So erregend Muskelspannung ist, hier geht der Schuss nach hinten raus.

Umgekehrt kann es sein, dass deine sexuelle Erregung schneller steigt, wenn du die Beckenboden- und Pomuskeln sehr stark anspannst. Dabei spürst du aber wie gesagt die Feinheiten nicht, die es braucht, dass du die sexuelle Erregung besser steuern kannst. Das kann dazu führen, dass du schneller kommst, als du willst. Wenn das bei dir so ist, interessiert dich vielleicht dieses Kapitel.

Erektionsprobleme

Es kann auch passieren, dass die Erektion weggeht oder der Penis gar nicht richtig steif wird. Zum einen spürst du weniger – und so kann der Penis weniger gut eine Erregungsquelle werden (du brauchst dann mehr deine Fantasie oder Pornos). Zum anderen ist der Druck der Muskeln rund um den Penis möglicherweise so hoch, dass nicht genug Blut in den Penis strömen kann, damit er steif wird.

Das heisst: Eine gute Erektion braucht ein gewisses Mass an Entspannung. Wenn du nicht mehr so jung bist und deine Adern nicht mehr so elastisch sind, treten diese Durchblutungsprobleme bei Hochspannung eher auf. Aber auch als junger Mann kann dir das passieren. Bittte lies hierzu unser Kapitel über Erektionsprobleme.

Wenig Lust auf Eindringen

Wenn du einen Penis hast und dich mit sehr viel Spannung erregst und vielleicht auch noch irgend etwas gegen den Penis presst, hat er nicht mehr so viel «Platz» in deinem sexuellen Erleben. Vielleicht presst du den Penis so stark gegen den Boden oder ein festes Objekt, dass er gar nicht steif wird. Bei dieser Erregungstechnik entwickelst du keine Fantasien davon, mit dem Penis irgendwo einzudringen. Vielleicht «wandert» das Gefühl auch nach hinten, zum After, und du kriegst mehr Lust darauf, penetriert zu werden. Das kann dann ein Problem werden, wenn du mit einer Person zusammen bist, die möchte, dass du sie*ihn penetrierst. Und du merkst dann vielleicht, dass das gar nicht geht, weil dich das nicht genügend erregt.

Wenig Lust auf Aufnehmen

Wenn du eine Vagina hast, kann die ja eigentlich etwas aufnehmen. Die Vagina ist ja eigentlich so etwas wie eine Höhle, die dann mit den Beckenbodenmuskeln Dinge in sich aufnehmen und hochziehen kann. Wenn du nun aber diese Muskeln dauernd stark anspannst, entwickelt sich kein Gefühl von einer Höhle, sondern eher von einem Klumpen, oder einem Pfahl. Das kann dann ein Problem werden, wenn du mit einer Person zusammen bist, die mit Penis oder Dildo in deine Vagina eindringen möchte. Du hast dann einfach keine Lust darauf. Vielleicht hast du viel mehr das Bedürfnis, dir einen Dildo umzuschnallen und irgendwo einzudringen. Manche entwickeln dann sogar das Bild davon, selbst einen Penis zu haben.

Stress in der Beziehung

Es kann auch zu Stress in der Beziehung kommen, wenn dein*e Partner*in sinnlichen, bewegten Sex mag und du aber nur starke, kräftige Stimulation sexuell erregend findest – vielleicht sogar in einer ganz bestimmten Position, wo möglichst viel Druck und Muskelspannung möglich ist. Zarte Berührungen erlebst du in so hoher Muskelspannung vielleicht auch als unangenehm kitzlig und irritierend. Das verletzt dann vielleicht dein*e Partner*in. Wichtig ist hier für euch beide, dass ihr versteht, dass das kein Zeichen von mangelnder Liebe ist, sondern von hoher Muskelspannung.

Unangenehme Gedanken beim Sex und über Sex

Wenn du die Muskeln beim Sex sehr anspannst und dabei kurz atmest, versetzt das den Körper in einen Zustand von Stress, und dein System wittert Gefahr. Denn eigentlich reagiert der Körper in Gefahr mit Anspannung und Kurzatmigkeit. Jetzt macht sich dein ganzes System bereit, zu kämpfen oder zu fliehen. Vielleicht hast du schon mal vom Kampf-Flucht-Mechanismus oder von der Kampf-Flucht-Reaktion gehört. Das kannst du mal googlen. Dieser Zustand ist verbunden mit unangenehmen Gefühlen wie Wut, Angst, Ekel oder Scham. Dein Kopf wird wachsam und wittert überall Gefahr und Feinde und will sich in Sicherheit bringen. Deine Gedanken werden kritischer und wertender – es geht darum, abzuschätzen, was gut und was schlecht ist. Diese kritischen Gedanken kannst du gegenüber deinen Partner*innen haben und auch gegenüber dir selbst. Du verbindest den Sex dann vielleicht eher mit etwas Schlechtem. Du findest vielleicht eher, du solltest dich nicht sexuell erregen. Oder du fühlst dich als Person schlecht dabei.

Mehr über diesen Kampf-Flucht-Zustand liest du in unserem Text über das autonome Nervensystem. Den Text empfehlen wir dir sehr, denn er hilft dir, viele Gedanken und Gefühle zu verstehen, die du beim Sex und rund um den Sex hast.

Harte Fantasien

Wenn du Sex in so einem "Kampf-Flucht"-Zustand hast, entstehen eher sexuelle Fantasien mit gewaltvollen Inhalten. Vielleicht findest du das verstörend, weil du so etwas im richtigen Leben überhaupt nicht willst. Auch hier ist es wichtig, zu verstehen: In hoher Muskelspannung entstehen beim Sex keine romantischen, bewegten Bilder; die hohe Muskelspannung übersetzt sich viel eher in Bilder z.B. von Gefesseltsein, Dominanz und Unterwerfung. Wenn du verstehst, dass diese Fantasien einfach ein Spiegel deiner Erregungstechnik sind und herzlich wenig mit deiner sonstigen Persönlichkeit zu tun haben, kannst du sie viel besser geniessen. Vielleicht interessiert dich auch unser Text Wie komme ich mit meinen sexuellen Fantasien besser klar?

Fehlende Liebesgefühle beim Sex

In so einem "Kampf-Flucht"-Zustand siehst du dein Gegenüber eher als Feind, als als Freund*in. Und so ist es verständlich, dass es manchen, die sexuelle Erregung mit hoher Muskelspannung verbinden, schwer fällt, während dem Sex zärtliche Liebe für den*die Partner*in zu empfinden. Liebesgefühle brauchen einfach ein grösseres Mass an Entspannung. Auch hier: Es geht nicht um mangelnde Liebe! Aber bei so hoher Muskelspannung sind einfach andere Gefühle angesagt! Die BDSM-Szene hat dafür eine Superlösung gefunden: Rollenspiele. So könnt ihr als Paar beim Sex in Rollen schlüpfen, in denen ihr eure «härteren» sexuellen Bedürfnisse ausleben könnt, und vorher und nachher ein glückliches Liebespaar sein.

Verdauungsprobleme nach dem Sex

Noch was: Vielleicht hast du nach dem Sex Bauchschmerzen und Blähungen. In starker Anspannung funktioniert die Verdauung nicht so gut. Wenn der Körper sich bereit macht, zu kämpfen oder zu fliehen, steht die Verdauung nicht im Vordergrund. Und andererseits drücken die angespannten Bauchmuskeln die Verdauungsorgane zusammen. Sie können sich dann nicht so bewegen, wie es für eine gute Verdauung notwendig wäre.

Bei Problemen heisst die Lösung "Bewegung"

Wenn du dich mit hoher Muskelspannung erregst und kein Problem damit hast, dann empfehlen wir dir: weiter so! Hohe Spannung ist wie gesagt sehr, sehr erregend. Falls du hier aber etwas gelesen hast, das bei dir ein Problem ist, interessiert dich vielleicht, weniger spannungsvolle Techniken der Erregung zu lernen. Völlige Entspannung beim Sex geht nicht, denn dann schläft die sexuelle Erregung ein. Was nun? Die Lösung heisst: Bewegen beim Sex.

Bewegung ist Spannung und gleichzeitig Entspannung

Beuge und strecke deinen Arm bitte mal abwechselnd. Überleg dir, welche Muskeln wann arbeiten. Beim Beugen arbeitet der Bizeps (der Beuger), beim Strecken arbeitet der Trizeps (der Strecker). Die gegenüberliegenden Muskeln entspannen sich jeweils. Das heisst: Bewegung ist nichts anderes als abwechselnd anspannen und entspannen. Und wenn du das beim Sex tust, kannst du dich erregen und gleichzeitig für genug Durchblutung und Entspannung sorgen, dass du mehr spürst und das ganze angenehmer erlebst. Mehr zum Bewegen beim Sex erfährst du in diesem Text für Frauen und alle mit Vulva/Vagina, in diesem Text für Männer und alle mit Penis und in diesem Text über die Bewegung des Oberkörpers.

Wissen über Sex ist dein sexuelles Recht

Möglicherweise hast du in diesem Text zum ersten Mal davon gelesen, dass Muskelspannung beeinflusst, wie du den Sex erlebst. Fehlendes Wissen kann zu Problemen führen. Zum Beispiel glauben viele Menschen, sie könnten ihr Erleben beim Sex nicht beeinflussen. Wichtig ist, dass du weisst: Du hast ein Recht auf richtige aktuelle Information zu Sexualität.